Das Lied des roten Todes
Elliott nickt ihnen zu und hebt eine Hand zu einem halben Gruß, bevor wir den Gastraum des Wirtshauses betreten.
Drinnen ist es dunkel, und ich stelle mich neben Elliott, blinzle, während meine Augen sich an das Licht gewöhnen. Sämtliche Tische sind besetzt, und Männer stehen an den Wänden. Einige sind in Uniform, andere tragen zerfetzte Straßenkleidung, aber sie alle nehmen Haltung an, als sie uns sehen.
Elliott lässt seinen Blick durch den Raum schweifen, dann verbeugt er sich leicht. Die Männer an den Tischen heben ihre Krüge und jubeln. Es mag düster in diesem Raum sein, aber das kann das verblüffende Weiß von Elliotts Zähnen nicht verbergen, das jedes Mal aufflackert, wenn er grinst.
An der Rückwand des Raumes steht ein Tisch auf einem etwas erhöhten Podest, auf den wir zugehen. Ich bin überrascht, dass ich Will dort sitzen sehe, und noch mehr, als er mir einen Stapel Papier zuschiebt und auch Elliott einen aushändigt.
Elliott legt die Pamphlete auf den Tisch und zieht einen Stuhl für mich heran. Als ich mich gesetzt habe, bleibt er hinter mir stehen und packt mit beiden Händen die Rückenlehne. Dann räuspert er sich.
»Danke«, ruft er. »Heute beginnen wir mit der Übernahme der Stadt.« Sämtliche Blicke richten sich auf ihn; seine Hände zittern so sehr, dass ich es durch den Stuhl hindurch spüren kann. »Allerdings müssen wir strategisch vorgehen«, spricht er weiter. Seine Stimme wird allmählich kräftiger. »Zuerst einmal werden wir uns in den Debauchery District zurückziehen. Ihr findet mich im Debauchery Club, wenn ich nicht auf den Straßen mit euch kämpfe. Morgen fangen wir an, die Familien in die leerstehenden Gebäude zurückzubringen. Wir werden Arbeiter für die Destillerie suchen, um unser Wasser sicher und trinkbar zu machen. Wir werden zusammenarbeiten und gemeinsam den Feigling töten, der sich Malcontent nennt und sich in den Schatten verbirgt und plant, uns alle umzubringen.«
Die Männer erheben ihre Krüge und jubeln. Einige stampfen mit den Füßen, andere klatschen in die Hände, und ihre Begeisterung hallt in dem Raum wider. Einer nach dem anderen stehen sie auf und salutieren Elliott.
Hat Elliott diesen Plan schon die ganze Zeit gehabt, oder ist er erst durch das Meer von Zelten, die wir heute Morgen gesehen haben, auf diese Idee gekommen?
Will steht ebenfalls da, aber die Art und Weise, wie er klatscht, verrät mir, dass die Berührung seiner Hände kein Geräusch erzeugt. Er verspottet Elliott nicht offen, aber ich sehe, dass er seine Absichten hinterfragt.
Ich greife nach den Papierstapeln, die er uns gegeben hat, als wir angekommen sind. Die Blätter auf dem einen Stapel geben Elliotts Plan wieder. Ein Plan, den er Will offensichtlich mitgeteilt hat, aber mir nicht.
Nicht nur wird jeder, der Elliotts Schutz genießen möchte, mit ihm in den Debauchery District gehen – Elliott hat auch noch versprochen, für sauberes Wasser und Nahrungsmittel zu sorgen. Wie können er und die hier versammelten Männer so etwas garantieren?
Der andere Stapel – der, den Will mir gegeben hat – ist doppelt so hoch. Es handelt sich um die Botschaft an meinen Vater, die in fetten Buchstaben zu lesen ist.
FINDE MICH, WENN DU DICH AN FINN ERINNERST . Darunter ist Elliotts Symbol abgedruckt.
Als ich den Blick wieder hebe, ist Will verschwunden. Dort, wo er eben noch gesessen hat, befinden sich jetzt drei Männer. Sie drängen sich vor, sind bereit, Elliott bis ans Ende der Welt zu folgen.
Der Wirt, der ebenfalls strahlt, bringt uns Platten mit Essen und alkoholischen Getränken. Die Männer gehen umher. Einige klopfen Elliott freundschaftlich auf die Schulter. Andere wollen mir die Hand schütteln, was unangenehm ist, denn ich würde gern endlich einmal etwas essen.
Elliott isst nichts, aber er setzt sich neben mich und legt mir besitzergreifend eine Hand auf den Oberschenkel.
Eine Gruppe älterer Männer kommt von der Straße herein und nähert sich unserem Tisch.
»Mir gefallen Ihre Ideen«, sagt einer. Er steht unbeholfen da, in der Hand eins von Wills Pamphleten. Ich beuge mich vor, um ihn besser sehen zu können, und unsere Blicke begegnen sich. Er hört auf zu sprechen. Seine Lippen verziehen sich. Er erkennt mich. Und ich erkenne ihn. Er gehörte zu Vaters Wachen.
Elliott nimmt seine Hand von meinem Bein, und einen Moment lang glaube ich, dass er sich vor diesem Mann, der mir mit Widerwillen begegnet, von mir distanzieren will. Aber stattdessen
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