Das Lied des roten Todes
zieht er meinen Stuhl nur noch näher an seinen heran und legt mir einen Arm um die Schultern.
»Was wollten Sie gerade sagen?«, fragt er.
Der Mann fährt fort, Elliotts Pläne zu loben, und vermeidet es dabei nach wie vor, mich anzusehen. Andere Männer fangen an zu flüstern.
Diese Männer hassen nicht nur Vater, sie hassen auch mich. Obwohl sie mir noch nie begegnet sind, beäugen sie mich voller Widerwillen. Die Stimmung im Zimmer hat sich verändert – statt von freundschaftlicher Kameradschaft geprägt zu sein, ist sie jetzt düster und bedrohlich.
»Tochter des Wissenschaftlers«, höre ich jemanden zischen.
Der Wissenschaftler. Früher einmal war das der Name ihres Helden. Jetzt ist es ein Fluch. Die Ernüchterung, mit der sie meinen Vater jetzt betrachten, spiegelt meine eigene. Und doch habe ich ihre Feindseligkeit nicht verdient.
»Elliott?« Dies sind seine Männer. Ich kann mir nicht erlauben, wütend zu werden, noch nicht. Er berührt meinen Kiefer mit seinem Daumen, streichelt mein Gesicht.
Ein Soldat mit einer Augenklappe spricht mit hoher Stimme. »Wie viele von uns haben Kinder verloren? Ehefrauen? Es würde dem Wissenschaftler nur recht geschehen –«
Das ist zu viel. Einige dieser Männer – dieser Kämpfer, die auf Elliotts Ruf hin hierhergekommen sind – würden mich verletzen, um meinen Vater zu bestrafen. Ich stehe auf, um ihre Scheinheiligkeit zu verdammen.
»Ich bin die Tochter des Wissenschaftlers.« Aber meine Stimme ist leise, und ich bezweifle, dass irgendeiner von denen, die nicht an diesem Tisch sitzen, hören kann, was ich sage. Ich hole tief Luft und spreche weiter. »Ich bin auch eine Schwester. Ich habe meinen Bruder an die Seuche verloren, meine Mutter an den Prinzen.« Meine Stimme versagt.
In der Gaststube ist es still. Elliott stellt seinen Krug ab.
»Ja«, sagt er und schiebt seinen Stuhl zurück, um sich neben mich zu stellen. »Und sie ist hier bei mir. Ich möchte, dass ihr Vater gefunden wird, und ich möchte ihn lebend haben.«
Die Soldaten sehen einander an und nicken langsam. Elliott lässt seinen Blick über die anderen im Raum schweifen und setzt sich hin. Er deutet auf meinen Stuhl, aber hier sitzen zu bleiben nimmt mir die Kraft. Obwohl sich die Aggressivität gelegt hat, will ich nicht hierbleiben. Es sind mir jetzt zu viele Leute hier, es ist mir zu beengend. Ich suche nach Will, aber ich sehe ihn nirgends.
»Ich gehe nach draußen«, sage ich zu Elliott. »Ich brauche ein bisschen frische Luft.«
Er macht Anstalten mitzukommen, aber das will ich nicht. Ich möchte ein paar Augenblicke allein sein. Ich habe mir nie etwas daraus gemacht, dass ich als Tochter des Wissenschaftlers eine Berühmtheit war. Aber ich hatte mich daran gewöhnt. Ich wusste, dass er kein Held mehr war, nicht einmal in meinem eigenen Kopf. Trotzdem ist es ein Schock, diesen Hass zu sehen, diese Gewalt. Ich balle meine Hände zu Fäusten, damit sie nicht zittern.
Als ich das Wirtshaus verlasse, versuche ich, so vielen Soldaten wie möglich in die Augen zu sehen. Ich möchte nicht, dass sie denken, ich würde weglaufen.
Das Wirtshaus liegt nah am Fluss, und ich kann das Wasser rauschen hören. Ich zwinge mich, mir vorzustellen, wie es über die Steine in einem Bach fließt und nicht über die Knochen von Toten. Einige von Elliotts Männern sind draußen, stehen in kleinen Gruppen zusammen. Sie wirken entspannt, und obwohl einige von ihnen mir Blicke zuwerfen und ein bisschen hämisch dreinblicken, sagen sie nichts. Wieso stehen sie hier herum und trinken? Sie sollten etwas tun. Elliott sollte etwas tun. Irgendetwas.
Ich suche die Straße ab und sehe Will auf der Vordertreppe eines Gebäudes auf der anderen Seite sitzen. Er sieht mich im gleichen Moment und springt auf. Ich hatte es vorher nicht bemerkt, aber er hat sich das Gleiche angezogen wie früher im Club: Er trägt jetzt eine schwarze Hose und ein schmal geschnittenes, blaues Hemd.
»Elliott lässt dich allein nach draußen gehen?« Er ist ein bisschen außer Atem, als er bei mir ankommt.
»Er hat mich nicht gelassen . Ich habe ihm gesagt, dass ich gehe.«
Er führt mich über die Straße in den ungewissen Schutz einer zum Teil noch intakten Wand aus Ziegelsteinen und scharrt mit der Stiefelspitze in der Erde herum.
»Ich hätte dich nicht da drin zurücklassen sollen.«
»Auch du bist nicht verantwortlich für mich«, versetze ich fauchend.
Er lehnt sich gegen die Mauer, verschränkt die Arme vor der
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