Das Lied des roten Todes
Wange. Er hat sich offensichtlich mit der Seuche infiziert. Der Soldat drückt ihm seine Pistole so hart an die Stirn, dass ein Abdruck zu sehen sein würde, würde er sie wegnehmen.
Mit tränennassem Gesicht hält der Soldat seinen Blick auf das Kind gerichtet, sogar dann, als Elliott spricht.
»Was hat das zu bedeuten?« Seine Stimme ist ruhig.
»Sag es ihm«, knurrt der Soldat. Seine Hand fängt an zu zittern.
Der Junge sieht Elliott an. »Der Reverend hat uns befohlen, in die Oberstadt zu gehen und mit allen zu sprechen. Und sie möglichst anzufassen.«
»Ihr verbreitet die Seuche.«
»Ja.« Das Kind bricht auf dem Bürgersteig zusammen.
»Das ist es, womit wir es zu tun haben.« Elliott hebt die Stimme, damit alle Männer ihn hören können. »Malcontent will die Stadt, auch wenn das bedeutet, dass er uns alle infizieren muss. Wer damit lebt wie seine Soldaten, darf bleiben. Die anderen werden sterben.«
Ich knie mich neben dem Jungen hin. »Verlass die Stadt. Komm niemals zurück.«
»Das geht nicht«, sagt der Junge. »Er wird den Jäger hinter mir herschicken.«
»Araby, wir dürfen nicht zulassen, dass er damit weitermacht«, sagt Elliott.
Was dieses Thema angeht, denkt er nicht vernünftig. Elliott hat Angst vor einer Ausbreitung der Seuche. Es ist die einzige Sache, die er nie vorausplanen konnte, und er ist wütend darüber, wie Malcontent sie benutzt. Ich kann es ihm nicht verübeln. Malcontents Absichten sind schrecklich. Es ist bösartig, dieses Kind so zu benutzen. Aber Angst und Wut sind keine gute Kombination.
Der Soldat, der die Zustimmung in Elliotts Worten spürt, richtet seine Aufmerksamkeit wieder auf den Jungen und bereitet sich darauf vor, ihn zu erschießen.
»Nimm die Waffe weg«, sage ich. »Bitte.«
Der Mann sieht Elliott an. Elliott zieht die Brauen hoch. Und sie gehen nicht wieder nach unten, nicht einmal dann, als ich nochmals »Bitte« hinzufüge. Er mag es nicht, wenn ich seinen Soldaten Befehle gebe, ebenso wenig wie ihm selbst. Aber ich kann nicht zulassen, dass sie diesem Kind etwas antun. So wie der Arm des Mannes zittert, befürchte ich, dass die Pistole von allein losgehen wird.
»Bitte, Elliott.« Meine Stimme klingt laut in der Gasse. »Denk an April …«
»Wenn wir ihn gehen lassen, wird er morgen zurückkehren. Wer weiß, wie viele Menschen er bereits infiziert hat?« Elliott packt mich und zieht mich zu sich heran, drückt mein Gesicht gegen sein makellos weißes Hemd.
Ein Schuss ertönt.
Ich stoße Elliott von mir weg, so fest ich kann.
Aber der Soldat hat vorbeigeschossen. Die Pistole fällt scheppernd neben dem Jungen zu Boden, der uns mit großen Augen ansieht. Immer noch strömen dem Soldaten Tränen über das Gesicht. Ich habe Angst, dass Elliott den Jungen selbst töten wird, nachdem der Soldat es nicht konnte.
»Jemand soll ihn zum Sumpf zurückbringen«, beharre ich und stelle mich zwischen Elliott und den Jungen.
»Wir müssen Malcontent eine Nachricht schicken, dass wir uns nicht von seinen Leuten angreifen lassen.«
»Wenn alle Masken hätten, müssten wir sie nicht fürchten.« Ich rühre mich nicht von der Stelle, nicht einmal, als Elliott auf uns zukommt. »Wir sollten Menschen retten und nicht töten.«
Die Soldaten bewegen sich, und der Junge wirkt so klein und verloren, wie er neben der Pistole kauert, die ihn hatte töten sollen.
»Bringt ihn aus der Stadt«, sagt Elliott schließlich. »Wir werden uns nicht auf eine Ebene mit Malcontent begeben und Kinder benutzen. Aber wenn irgendjemand von euch etwas von ihm hört, will ich es sofort wissen.«
Auf der anderen Straßenseite öffnet jemand die Läden und blickt vorsichtig nach draußen. Was denken die Leute, wenn sie so viele Männer um ein zitterndes Kind herumstehen sehen?
»Wenn Malcontents Anhänger sich damit einverstanden erklären, die Stadt zu verlassen, begleitet sie bis zur Stadtgrenze. Ansonsten erschießt sie. Verbrennt die Leichen. Und schickt alle unsere Männer zu mir, die keine funktionierenden Masken haben.«
Ein Soldat stupst den Jungen mit dem Gewehrlauf an.
»Komm mit«, sagt er. Zwei andere Soldaten folgen ihnen. Die anderen folgen uns.
Als wir uns dem Wirtshaus nähern, halte ich Ausschau nach Will. Ich suche in den Schatten, wo sich gestern Nacht der mit einem Umhang bekleidete Mann versteckt hatte. Aber alles, was ich sehe, sind noch mehr von Elliotts Soldaten. Sie scheinen überall zu sein, stehen in Hauseingängen, unterhalten sich und rauchen.
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