Das Lied des roten Todes
den Bürgersteig. Der Mond ist unnatürlich hell. Schritte hallen von der Straße wider. Schwere Schritte.
Sowohl Will als auch Elliott warten darauf, dass ich weitergehe, mit ihnen in diesen neuen Keller hinabsteige, aber ich rühre mich nicht vom Fleck.
»Wir müssen reingehen, Araby.« Elliotts Stimme klingt kühl und ruhig.
»Nein«, sage ich.
Aber er ignoriert mich, geht vorsichtig die Stufen nach unten und öffnet die Tür zur Dunkelheit. Ich zittere.
Ich spüre, dass Will hinter mich tritt. Er stellt sich dicht zu mir, aber er berührt mich nicht. »Du schaffst das.« Dann nimmt er meine Hand.
Er schiebt sich vorwärts, wartet darauf, dass ich den ersten Schritt mache. Ich hole tief Luft – ich habe Dinge getan, die schwerer waren als das – und folge Will in die Dunkelheit, gehe durch eine Tür in einen schwach beleuchteten Raum. Glücklicherweise ist dieser Keller nicht überschwemmt worden, als die Tunnel geflutet wurden, daher ist er nicht nass, sondern nur stickig. Ich stelle mir vor, dass Spinnen in den Ecken sitzen und sich unter dem verblichenen Teppich Insekten befinden.
An der Rückwand des Raumes steht ein Bett, zusammen mit einer Truhe. Es gibt auch ein paar niedrige Tische und Öllampen. Elliott hat bereits einige angezündet, und Will lässt meine Hand los und kümmert sich um die übrigen.
Ein großer Schrank steht hinten an der Wand.
»Hat jemand Durst?« Elliott zieht eine Flasche Wein aus seinem Bündel und gießt etwas in ein paar kleine Gläser. Er reicht mir eins, und ich trinke einen großen Schluck, versuche mich zu zwingen, ruhig zu bleiben. Dieser Keller ist sicher. Er ist geheim und ganz anders als der, in dem Finn gestorben ist.
»Du nimmst das Bett, Araby«, sagt Elliott. Er wickelt sich selbst in seine eigenen Decken und lässt sich in einer Ecke nieder.
Ich stelle eine der Lampen auf die Truhe neben dem Bett. Auf der Bettdecke, die über die Matratze geworfen wurde, befindet sich ein dunkler Fleck – so ähnlich wie bei der Decke, in die wir meinen Bruder gewickelt haben. Aber ich bezwinge meine Panik, nehme eine Decke von meinen Sachen und breite sie auf dem Boden aus. Keiner der Jungen sagt etwas oder macht Anstalten, das Bett selbst zu benutzen. Will sitzt am Tisch. Sowohl er als auch Elliott scheinen in ihren eigenen Gedanken verloren zu sein.
Ich lege mich vorsichtig beinahe in die Mitte des Zimmers, weit weg von den Ecken, in denen vielleicht die Spinnen hausen. Ich wickle mich fest in die Decke ein, sodass nichts hereinkriechen und mich berühren kann. Es dauert lange, bis ich einschlafe, aber irgendwann, als ich ganz ruhig daliege, nicke ich ein.
Meine Träume sind dunkel. Männer mit Messern in den Händen kommen die Treppe herunter. Ein vertrauter Sessel steht da, wo Finn und ich immer gelesen haben. In meinen Träumen sind die Messer, die die Männer tragen, blutverschmiert. Sie haben Finn getötet. April ist die Nächste. Jemand packt mich. Ich werfe mich zur Seite … In diesem Moment wache ich auf, meine Kehle ist wie zugeschnürt, und meine Schulter pocht. Ich kann mich nicht bewegen. Ich schlage und trete einen Moment um mich, bis ich begreife, dass ich in Wills Armen liege, und ich klammere mich an ihn, als würde er mich vor meinen Erinnerungen bewahren.
Es ist wie beim ersten Mal, als ich neben ihm aufgewacht bin, in jener Nacht, als er mich vom Club mit zu sich nach Hause genommen hat. Ich verlagere vorsichtig das Gewicht, stütze mich so weit auf einem Ellenbogen auf, dass ich ihn sehen kann. Zwei Knöpfe an seinem Hemd sind geöffnet. War das schon vorher so, oder ist es geschehen, als wir zusammengerückt sind und uns miteinander verflochten haben? Seine Haare wirken so dunkel auf seinem Kragen.
Als würde er spüren, dass ich ihn ansehe, öffnet er die Augen. Ich weiche ein bisschen zurück, bin verlegen, dass er mich dabei erwischt hat, wie ich ihn ansehe.
Aber dann streckt er die Hand aus und berührt meine Wange.
»Araby, schlaf jetzt wieder. Sonst wirst du dich morgen hassen.«
»Ich hasse mich schon jetzt.« Ich sollte mich zurückziehen, aber stattdessen schmiege ich mich wieder an ihn und tue so, als wäre das hier kein Keller. Als würde Elliott nicht einen Meter neben uns schlafen.
In der Dunkelheit finden meine Augen die einzige Lampe, die die Jungen angelassen haben. Die Bodendielen sind hart und unnachgiebig. Ich glaube, ich höre etwas von irgendwo hinter dem Schrank, ein leises Klopfen, das mich an eine
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