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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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verloren. Asny hatte ihren Bruder aus dem Bach gezogen. Das rieb sie ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit unter die Nase.
    «Kommt mit, ihr beiden. Wir werden den Hecht zubereiten», meinte Asny. «Mutter wird sich darüber freuen.»
    «Ach, geh ruhig schon vor», meinte Aki. Er wollte wissen, welche Fehler er beim Schreiben gemacht hatte.
    Für Ketil schien die Unterbrechung jedoch zum richtigen Zeitpunkt gekommen zu sein. Er sprang auf und bot Asny an, beim Ausnehmen und Schuppen zu helfen.
    «Nein, Mönch!», rief plötzlich eine Stimme. «Wir Frauen kümmern uns um den Fisch.»
    Alle drei wandten sich gleichzeitig um. Velva stand mit in die Hüften gestemmten Fäusten am Rande der Lichtung. Im Tageslicht sah sie noch blasser aus als in der Höhle. Die Tätowierungen auf ihrem Gesicht wirkten wie Wundmale.
    Ketil war von ihrem Erscheinen so überrascht, dass er unvermittelt einen Schritt zurückwich. Das Buch rutschte aus der Kutte und fiel ins feuchte Laub. Sein Gesicht lief rot an, und Aki stockte vor Schreck der Atem. Velva würde wütend werden, furchtbar wütend.
    Doch sie schien das Buch gar nicht bemerkt zu haben. Zumindest ließ sie sich nichts anmerken und winkte stattdessen Asny zu sich.
    «Die Männer haben sicher Wichtigeres zu tun», sagte Velva.
    Sie wartete, bis Asny bei ihr war. Dann gingen sie gemeinsam zur Höhle.
    Ketil stand noch immer wie vom Donner gerührt da. Das Buch lag zu seinen Füßen.
    «Hat sie das Buch etwa nicht gesehen?», stammelte er.
    Aki schlug das Herz bis in den Hals. «Sie ist eine Seherin», flüsterte er. «Hast du das vergessen?»

36.
    Asny fing von nun fast jeden Tag einen Hecht. Nach dem Winter hatten die Fische zwar noch nicht viel Fleisch auf den Gräten, waren aber immerhin groß genug, um die Höhlenbewohner satt zu machen.
    An diesem Tag – es war gut eine Woche seit dem Vorfall mit dem Buch vergangen – brachte Asny sogar zwei Hechte mit. Sogleich machten sich die beiden Frauen an die Vorbereitungen für das Mahl. Aki schaute zu, wie sie die Fische in einer Schüssel mit getautem Schneewasser säuberten, dann mit getrockneten Kräutern würzten und anschließend auf Stöcke spießten. Aus dem letzten Getreidevorrat bereiteten sie einen Brotteig zu und legten ihn zum Backen auf die Steine an der Feuerstelle.
    Ketil hockte derweil in einer dunklen Ecke und starrte schweigend vor sich hin. Das tat er die meiste Zeit, seit ihm das Buch aus der Kutte gefallen war. Aki war es bislang nicht gelungen, seinen Freund aufzuheitern. Er hatte versucht, ihn zu einer Schneeballschlacht, einem Waldspaziergang oder zu einer Jagd zu überreden – alles Unternehmungen, die Ketil noch vor Tagen begeistert mitgemacht hätte. Aber jetzt reagierte er auf Akis Vorschläge nur noch mit einem abweisenden Kopfschütteln.
    Irgendetwas ging in ihm vor. Aki fragte sich ein ums andere Mal, ob der Grund dafür wirklich das schlechte Gewissen war.
    Aki war überzeugt, dass Velva das Buch bemerkt hatte. Dennoch hatte sie kein einziges Wort darüber verloren. Er schämte sich, seine Mutter hintergangen zu haben, weil er in dem Buch gelesen und die Schrift der Christen gelernt hatte.
    Als sich die Dunkelheit über den Wald legte, entzündete Asny das Feuer. Bald darauf erfüllte der Geruch von gebratenem Fisch und gebackenem Brot die Höhle. Aki, Asny und Velva griffen beherzt zu. Es freute Aki, dass seine Mutter mit Heißhunger zulangte. Mittlerweile hatten sich die Falten auf ihrem Gesicht ein wenig geglättet, und ihre Haut nahm allmählich wieder eine gesunde Farbe an.
    Dennoch war die Stimmung alles andere als gelöst. In den letzten Tagen hatte Ketil immerhin am Essen teilgenommen, sich auf Bitten der anderen zu ihnen gesellt und einige Bissen in sich hineingestopft. Aber heute ließ er sich weder von Aki noch von Asny ans Feuer locken. Erst als Velva die Zwillinge aufforderte, Ketil in Ruhe zu lassen, gaben sie nach.
    Auch Velva war an diesem Abend anders als sonst. Immer wieder sah sie zu Ketil. Es hatte den Anschein, als durchbohre sie den Mönch mit ihren Augen. Aki hatte diesen alles durchdringenden Blick lange nicht bei seiner Mutter bemerkt. Eigentlich nicht mehr seit dem Vorfall auf der Landebrücke von Haithabu, und es machte ihm Angst.
    Irgendetwas wird heute geschehen, dachte er.
    Als Velva satt war, rülpste sie, wischte sich den Mund ab und säuberte ihre Hände mit Wasser. Dann schaute sie erst Aki und dann Asny lange an, bis ihr Blick zu Ketil wanderte.
    «Der Winter

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