Das Lied des Todes
Handwerk legten, und er, Ketil, würde die Soldaten herführen.
Vermutlich hätten Velva und die Zwillinge dann längst ein neues Versteck gefunden. Wenn der Graf und der Bischof aber erst einmal unschädlich gemacht waren, könnte Ketil sich auf die Suche nach seinen Freunden begeben.
Ja, genau so wollte er es machen!
Nach einer Weile erreichte er die Lichtung mit dem Teich, in dem er sich im vergangenen Herbst nach dem unfreiwilligen Moorbad gewaschen hatte. Eine Ewigkeit schien das her zu sein, und nur der Herrgott wusste, warum er seinen nicht immer gehorsamen Diener Ketil beim Pinkeln ins Morastloch hatte fallen lassen.
An den Rändern des von vertrockneten Binsen gesäumten Teichs hatte sich über Nacht eine dünne Eisschicht gebildet. Im Winter waren Ketil und Aki auf der Suche nach Jagdwild einige Male hier gewesen. Weiter als bis zur Lichtung waren sie jedoch nie gegangen. Der Weg, der durch den Wald zum Treenehafen führte, war nicht allzu fern und die Gefahr zu groß, den Soldaten des Grafen oder anderen Leuten, die hinter ihnen her waren, zu begegnen. Das Risiko bestand natürlich auch heute. Ketil musste es jedoch in Kauf nehmen.
Die Mittagszeit war noch nicht heran, als er zum Weg kam. Im Gegensatz zum schneebedeckten Waldboden war der Untergrund des Pfads vom Tauwasser aufgeweicht und von Menschen, Ochsen und Wagenrädern aufgewühlt worden. Ein gutes Zeichen. So viele Menschen wären wohl kaum unterwegs, wenn nicht tatsächlich schon wieder Schiffe in See stachen.
Ketil war noch nicht weit gekommen, als er auf einen Mann traf. Es war ein Händler, der sich damit plagte, einen im Schlamm steckengebliebenen Karren freizubekommen. Der Wagen war mit Hirschgeweihen beladen.
Ketil überlegte, ob es nicht sicherer wäre, den Mann einfach zu überholen. Aber dann hatte er Mitleid mit dem Händler, der mit seinem Karren augenscheinlich überfordert war. Er trat neben ihn. Der Mann zuckte bei Ketils Anblick jäh zusammen. Ketil, dem solche Reaktionen nicht fremd waren, lächelte freundlich und bot seine Hilfe an.
Das Gesicht des Händlers hellte sich auf. Sein Name sei Ulf, erzählte er, und er müsse schnell zum Hafen. Das Schiff, für das die Geweihe bestimmt seien, werde noch an diesem Nachmittag ablegen.
Das hörte Ketil gern.
Mit einem kräftigen Ruck beförderte er den Karren aus dem Matsch und schob ihn zu einer Stelle mit trittfestem Untergrund. Der Händler schenkte Ketil eine Münze und stellte ihm zwei weitere Münzen in Aussicht, wenn Ketil den Karren bis zum Hafen schieben würde.
Das verlockende Angebot konnte er nicht ausschlagen. Leichthändig manövrierte er das Gefährt durch Pfützen und Schlamm, während der Händler redselig neben ihm herspazierte. Er mache seine Geschäfte, indem er Waren zwischen den Häfen von Haithabu und Hygelac an der Treene hin- und hertransportiere. Eigentlich mit einem Ochsenkarren. Sein einziger Ochse sei jedoch im Winter gestorben.
Nach einer Weile meinte der Händler anscheinend, genug von sich erzählt zu haben. Er ging dazu über, Fragen zu stellen – und das gefiel Ketil überhaupt nicht.
Aber der Däne ließ nicht locker.
«Wo kommst du her, Mönch? Ich meine, du bist hier mitten im Wald aufgetaucht, da frage ich mich …»
«Aus Etzeho», antwortete Ketil schnell, vielleicht etwas zu schnell. Er spürte Ulfs prüfenden Blick.
«Ich kenne Etzeho», sagte Ulf. «Aber ich wusste nicht, dass dort Mönche leben.»
«Ich habe in dem Ort nur den Winter verbracht, im Haus eines Priesters», sagte Ketil und betete im Stillen, dass Gott ihm seine Notlüge verzeihen möge. «Vater Alibert, so heißt er. Ich bin ihm bei Gottesdiensten und Beerdigungen zur Hand gegangen.»
Auf seiner Reise in die Mark hatte Ketil erfahren, dass in Etzeho tatsächlich ein Priester dieses Namens lebte, und Ketil hoffte inständig, dass dieser nicht längst gestorben war und der Händler das wusste.
«Priester Alibert?», meinte Ulf nachdenklich. «So, so. Ich habe gehört, er sei schwer krank.»
«Es geht ihm wieder besser.»
«Was hatte er für eine Krankheit?»
«Er war schwach, überarbeitet, das Alter halt.»
Der Händler nickte nachdenklich.
«Und was hast du nun vor?»
«Ich werde heimkehren, nach Colonia, eine große Stadt in Lotharingen.»
«Colonia ist mir ebenfalls bekannt. Ich bin viel herumgekommen auf meinen Reisen. Was hat dich in den Norden verschlagen? Hat dein Herrgott dich geschickt?»
Er kicherte leise.
Der Weg beschrieb eine Kurve, in
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