Das Lied des Todes
wurde, nahm Asny ihren Kopf von Akis Schulter.
«Die Tiere haben Angst», sagte sie.
«Mhm. Der Rauch.»
Aki dankte den Göttern für die Sachen, die zwischen ihnen und den Tieren aufgestapelt waren. Immer deutlicher drangen die Laute von der anderen Seite zu ihnen herüber. Jetzt quiekten nicht mehr nur die Schweine. Die Pferde begannen zu schnauben und mit den Hufen zu trampeln.
An Deck schien sich niemand um die Tiere zu scheren.
Grim warf neues Holz in die Schale. Die Flammen schlugen hoch, und der Rauch wurde dichter. Offenbar hatte Grim feuchtes Holz gegriffen.
Von dem Qualm begannen die Augen der Zwillinge zu tränen.
Und dann machte sich der Ochse bemerkbar. Zunächst war es nur ein anhaltendes, tiefes Brummen, das aus seiner Kehle drang. Dann schwoll das Brummen zu einem wütenden Brüllen an.
Der Ochse war zwar an einem eisernen Ring an den Planken festgekettet, aber das Tier, das während der Fahrt die meiste Zeit still verharrte, war ein Ausbund an Kraft – ein Berg aus Muskeln –, und seine armlangen Hörner waren an den Enden spitz wie Messer.
Als der Ochse mit den Hufen aufstampfte, erbebte das Schiff. Einige der ganz oben liegenden Kisten wackelten.
Inzwischen hatten die Geräusche andere Männer an Bord geweckt. Auch Grim, Geirmund und der Weinhändler lachten nicht mehr. Sie verließen ihr Lager und gesellten sich zu den anderen. Offenbar kam ihnen nicht in den Sinn, ihr Feuer könnte die Ursache für die Unruhe unter den Tieren sein.
Aus der Schale drang weiterhin dichter Rauch.
Man rief nach dem Besitzer des Ochsen, musste aber feststellen, dass der mit den anderen ins Watt gegangen war.
Die Tiere gebärdeten sich immer toller. Die Schweine quiekten, und die Pferde wieherten. Aber es war nicht mehr der Qualm, der sie aufbrachte und mit Todesangst erfüllte – es war die Gefahr, die sich unmittelbar unter ihnen befand.
Aki zuckte zusammen, als er das klirrende Geräusch der sich spannenden Kette hörte, an der der Ochse riss und zerrte.
Wieder erschütterte ein heftiges Beben die Planken. Eine Kiste rutschte herunter und krachte vor den Füßen der Zwillinge in den Laderaum.
«Löscht das Feuer!», rief plötzlich jemand an Deck.
Fulrad war an Bord geklettert. Sofort liefen einige Männer zur Schale und schütteten Wasser über die Flammen, die zischend unter einer dichten Qualmwolke vergingen.
Erst als der Wind den letzten Rauch vom Schiff vertrieben hatte, beruhigten sich die Tiere. Der Besitzer ging in den Laderaum und stellte fest, dass der Ochse die Kette nicht beschädigt hatte.
An Deck war jetzt nur noch Fulrads wütende Stimme zu hören. «Wer hat das Feuer entfacht?»
Keiner der Männer bewegte sich.
Fulrad ließ seinen Blick von einem zum anderen gleiten. Die Seeleute hatten sich mit den Fischspeeren hinter ihm aufgebaut.
Von seiner Position aus konnte Aki erkennen, wie Fulrads Blick schließlich bei Grim und Geirmund hängen blieb.
«Die Feuerschale steht bei eurem Lager», fuhr der Schiffsführer die beiden an.
«Er war das», sagte Grim und zeigte auf den Weinhändler.
Dem Mann entglitten die Gesichtszüge.
Fulrad trat vor ihn. Er war gut einen Kopf größer als der Weinhändler.
«Stimmt das?», wollte Fulrad wissen.
Als der Mann heftig den Kopf schüttelte, ergriff Geirmund das Wort. «Mein Sohn spricht die Wahrheit. Das Feuer war die Idee dieses Mannes.»
Da griff Fulrad in einen der Eimer, die sie mit ins Watt genommen hatten, nahm eine große Scholle heraus und schlug sie dem Weinhändler ins Gesicht. Einmal, zweimal, dreimal klatschte es laut.
Gelächter hallte über das Schiff, während Fulrad mit der Scholle so lange auf den vermeintlichen Übeltäter einprügelte, bis der Fisch aufriss und sich Blut und Eingeweide über den Händler ergossen. Erst als Fulrad von ihm abließ, gingen die Männer wieder zu ihren Schlafplätzen zurück.
Grim lachte noch immer, als er an den Rand des Laderaums zurückkehrte. Als sein Blick auf die Zwillinge fiel, verstummte er.
«Leg dich hin!», knurrte Geirmund im Hintergrund.
Aber Grim blieb noch eine ganze Weile dort oben stehen und starrte auf Asny.
43.
Thankmar erwachte schweißgebadet. Sein Herz hämmerte gegen die Rippen wie nach einer atemlosen Hatz. Wie nach der Flucht aus der Hölle. Und genau dort war er gewesen.
Aber war es ein Traum, oder war es die Realität? Er wusste es nicht.
Er setzte sich auf dem Lager auf. Stroh und Reisig, mit denen das Bett gepolstert war, knisterten unter seinem
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