Das Lied des Todes
liegt doch die Stadt Colonia. Vielleicht wollen sie uns dort verkaufen.»
Aki ahnte, welche Hoffnung Asny damit verband. Auch er hatte darüber nachgedacht, war aber zu dem Schluss gekommen, dass die Wahrscheinlichkeit, Ketil könnte sie retten, verschwindend gering war.
«Colonia liegt viele Meilen im Landesinnern, hat Ketil erzählt», meinte er. «Ich nehme an, Grim und Geirmund werden die erstbeste Gelegenheit ergreifen, uns zu Geld zu machen. Es könnte also sein, dass wir gar nicht bis nach Colonia kommen. Und selbst wenn, wäre es ein sehr großer Zufall, wenn er uns dort treffen würde. Er wähnt uns bestimmt noch immer in der Mark.»
Asny nickte traurig.
Vermutlich war ihr dieser Gedanke ebenfalls gekommen, dachte Aki. Es tat ihm leid, ihre letzte Hoffnung zerstört zu haben. Aber hätte er sie anlügen sollen?
Er war überzeugt, dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen mussten – und das konnte nur eines bedeuten.
Als es den Trinkern zu kalt wurde, beschlossen sie, ein Feuer zu machen. Das war zwar an Bord eines Schiffes nicht ungefährlich, aber Fulrad hatte es in den vergangenen Nächten gelegentlich erlaubt – vor allem, wenn es ihm selbst zu kalt wurde. Allerdings musste das Feuer klein gehalten werden und durfte nie unbewacht bleiben.
Aki beobachtete, wie sich Grim vom Rand des Laderaums entfernte und kurz darauf mit einer eisernen Schale zurückkehrte. Die drei Männer füllten sie mit Spänen und Holzstücken, die trotz des Unwetters trocken geblieben waren. Grim versuchte, das Holz anzuzünden. Doch seine Bewegungen waren fahrig. Kaum glomm ein wenig Glut auf, löschte der scharfe Wind sie sofort wieder.
Nach einer Weile hatte Geirmund genug und nahm die Sache selbst in die Hand. Er schien nicht so betrunken zu sein wie sein Sohn, und es dauerte nicht lange, bis Rauch aus der Schale quoll, den der Wind über dem ganzen Schiff verteilte. Die drei drängten sich um das Feuer und rieben ihre klammen Hände über den Flammen.
Die Schweine stießen quiekende Laute aus.
«Wir werden fliehen», flüsterte Aki seiner Schwester zu.
Sie wandte ihm das Gesicht zu. «Fliehen? Aki – wir sind angekettet. Grim und Geirmund lassen uns nicht aus den Augen. Selbst wenn es uns gelingen würde, beim Rudern über Bord zu springen, mit den Ketten und den Fußeisen würden wir untergehen wie Steine …»
«Ich weiß», unterbrach Aki sie. «Wir müssen versuchen, die Ketten loszuwerden.»
«Und wie?»
«Hm.»
Seufzend legte Asny ihren Kopf wieder auf Akis Schulter. «Wenn Mutter bei uns wäre, wüsste sie einen Weg.»
«Ach ja?», entgegnete Aki. «Glaubst du etwa, sie hätte die Schlösser einfach weggezaubert?»
Er hatte den Satz kaum ausgesprochen, da bereute er seine Worte schon. Es tat ihm leid. Er hatte sich hinreißen lassen, Velvas Fähigkeiten in Frage zu stellen. Sie war erst wenige Tage tot. Seither musste er ständig an seine Mutter denken, und er vermisste sie sehr. Aber es gab auch Momente, da ertappte er sich dabei, dass er wütend auf sie war, weil sie ihre Kinder im Stich gelassen hatte. Was natürlich nicht stimmte.
«Entschuldige», bat er Asny. «Ich wollte nicht schlecht über Mutter reden.»
«Ich weiß.»
Sie schmiegte sich an ihn.
«Velva war eine große Zauberin – die größte», sagte Aki. «Ganz bestimmt hätte sie uns befreit, so wie damals, als der Markgraf sie ertränken wollte …»
«Ja», sagte Asny mit erstickter Stimme.
Auch Akis Augen füllten sich mit Tränen, als ihn die Erinnerungen an Velva überkamen. An all die schönen Momente, die sie gehabt hatten – trotz der Anfeindungen und Gefahren, denen sie in Haithabu und später im Wald ausgesetzt gewesen waren. Sie war immer für ihre Kinder da gewesen, hatte sich aufgeopfert und niemals aufgegeben.
Und ihr Mörder saß am wärmenden Feuer und betrank sich!
Als hätte Aki seine Gedanken laut ausgesprochen, ließ Grim oben an Deck plötzlich sein dreckiges Lachen hören, und dann schüttete er noch mehr Wein in sich hinein.
Der Rauch aus der Feuerschale hüllte das Schiff ein, zog in den Laderaum zu den Zwillingen und weiter über die Kisten, Fässer und Säcke zu den Tieren.
Zunächst waren es nur die Schweine, die unruhig wurden, und Aki dachte sich nichts dabei.
Er war wieder in seine Gedanken versunken und grübelte darüber nach, wie sie den Sklavenhändlern entkommen könnten. Auch Asny hatte nichts mehr gesagt, seit sie über Velva gesprochen hatten.
Als das Quieken lauter
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