Das Lied des Todes
Krankheiten an den Hals wünschte. Seit sie ihn in der Feuernacht zum Sündenbock gemacht hatten, mied er die beiden, sofern dies an Bord möglich war. Getrunken hatten die drei nicht mehr zusammen. Dennoch hatten Grim und Geirmund noch immer Weinvorräte, von denen sie sich reichlich bedienten. Woher sie den Wein hatten, war Aki schleierhaft. Vielleicht bestahlen sie den Händler einfach, während er schlief. Er würde sich kaum bei Fulrad beschweren, nachdem er bei ihm in Ungnade gefallen war.
«Zwei Faden!»
«Rudern!»
«Nein!», entgegnete der Lotse. «Hier ist etwas im Wasser. Wartet! Es ist … ja, eine Markierung. Wir haben die Zufahrt gefunden!»
Fulrad reckte den Kopf. Dann gab er das Kommando, nur auf der Steuerbordseite die Ruder durchzuziehen. Der Wattenvogel drehte ab. Kurz darauf glitten sie an der Markierung vorbei, einem ins Wasser gesetzten Pfahl, der so lang war, dass er gut zehn Fuß aus der Oberfläche ragte.
Als Aki das Seezeichen sah, lief ihm ein Schauer über den Rücken. In den Pfahl waren grimmig dreinblickende Gesichter geschnitzt. Aber sie waren es nicht, die Aki beunruhigten: Es war der Kopf eines Mannes, den man auf die Pfahlspitze gespießt hatte. Das meiste Fleisch war verfault oder von Vögeln abgefressen worden. Das lippenlose Gesicht sah aus, als würde es grinsen, und aus dunklen Höhlen, in denen einst die Augen gewesen waren, blickte der Tote auf den Wattenvogel herab.
«Warum hat man den Kopf dorthin gesetzt?», fragte Asny leise.
«Vielleicht zur Abschreckung», meinte Aki. «Es könnte ein Dieb gewesen sein, oder ein Betrüger …»
«Mund halten!», fuhr Grim sie an. «Ein Sklave redet nur, wenn sein Herr ihn dazu auffordert. Das werdet ihr bald lernen, ihr Hurenbälger!»
Er lachte trocken.
Das werden wir nicht, Dreckskerl, dachte Aki. Bevor ihr uns an irgendeinen Herrn verkaufen könnt, sind wir längst geflohen. Dann könnt ihr zusehen, wie ihr an euer verdammtes Geld kommt.
Bei dem Gedanken, wie Grim und Geirmund fern der Heimat mit leeren Händen dastehen würden, musste Aki innerlich lachen. Auch wenn ihm noch unklar war, wie er und Asny entkommen konnten, so erfüllte ihn doch allein die Vorstellung daran mit Zuversicht. Ja, sie würden es schaffen. Sie würden irgendwie an die Schlüssel gelangen und zwar bevor man sie zu einem der Sklavenmärkte in den Städten am Rhenus brachte.
Nachdem sie den ersten Pfahl passiert hatten, glitten sie an weiteren Markierungen entlang, die in regelmäßigen Abständen von etwa fünfzig Fuß aus dem Wasser ragten. Auf beinahe jedem Pfahl steckte ein Kopf. Offenbar gab es viele Diebe und Betrüger in Staveran.
Das wenige, was Aki von dem Ort wusste, hatte er aus einem Gespräch zwischen Fulrad und einem der Männer an Bord aufgeschnappt. Die Siedlung sei vor allem ein Umschlagplatz für Getreide und unterhalte Handelsverbindungen zu Städten am Nordmeer und am Baltischen Meer.
Fulrad wollte in Staveran frisches Süßwasser und Lebensmittel an Bord nehmen und dann so schnell wie möglich wieder aufbrechen. Mit jedem Tag, den die Fahrt zu den Städten am Rhenus länger dauerte, verlor er Geld. Die mitreisenden Händler würden ihm den vollen Betrag erst zahlen, wenn sie ihr Ziel erreichten, und je schneller Fulrad alle Händler abgesetzt hatte, um mit anderen wieder zum Nordmeer zurückzufahren, desto lukrativer war es für ihn.
«Ein Faden!», rief der Lotse. «Der Hafen! Wir sind da!»
Der Nebel lichtete sich.
Der Hafen von Staveran war mit dem von Haithabu nicht zu vergleichen. Hier gab es lediglich vier Landebrücken, auch war dieser Hafen zur See hin offen und nicht wie in Haithabu durch eine halbkreisförmige Palisade geschützt.
Etwa ein Dutzend größere und kleinere Schiffe lagen kieloben am Ufer, auf das man sie zum Überwintern gezogen hatte. Dahinter standen Bootsschuppen und Speichergebäude.
Die Handelssiedlung selbst konnte Aki noch nicht sehen, nur einen breiten, mit Bohlen befestigten Weg, der vom Hafen aus eine Anhöhe hinaufführte. Auf der anderen Seite des Hügels stiegen Rauchfahnen fast senkrecht in den grauen Himmel.
«Ruder einholen!», befahl Fulrad.
Der Wattenvogel glitt in den Hafen. Als sich das Schiff einer Landebrücke näherte, flogen Möwen auf, die am Ufer vom Kadaver eines Seehunds gefressen hatten. Kreischend drehten die Vögel eine Runde über dem Schiff, bevor sie zum Ufer zurückflogen und sich auf dem Dach eines Schuppens niederließen.
In einiger Entfernung sah Aki
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