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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Ich will nur diese Frau haben. Der schmächtige junge Mann macht nicht den Eindruck, als sei er für schwere Arbeit zu gebrauchen.»
    Der Graf legte seine Hand auf Asnys Gesicht und drückte gegen ihre Kiefer, bis sich ihr Mund öffnete.
    «Hm, hm», machte er, während er ihre Zähne begutachtete. «Zweihundert Gramm gebe ich dir für die Frau.»
    Als Aki dies hörte, konnte er nicht mehr an sich halten und machte einen Schritt auf den Grafen zu. Es war vollkommen undenkbar, dass Asny allein hierblieb. Wenn sie schon verkauft wurden, musste Aki auf jeden Fall verhindern, dass man ihn von Asny trennte.
    «Herr», sagte er, «ich bin vielleicht nicht sehr kräftig – aber ausdauernd. Ich werde sehr hart für Euch arbeiten …»
    Die Stimme versagte ihm, und er spürte, wie sich seine Kehle zuschnürte. Grim zog ihn mit einem Ruck am Seil vom Grafen fort. Aki rang um Luft. Er griff nach seinem Hals, um seine Finger hinter das Seil zu bekommen und es zu lockern.
    Grim zog die Schlinge fester zu.
    «Ein vorlauter Sklave», hörte Aki den Grafen sagen. «Habt ihr sie nicht mit der Peitsche erzogen?»
    «Nehmt … mich … mit», keuchte Aki.
    «Aki!», rief Asny panisch.
    Geirmund presste ihr eine Hand auf den Mund.
    «Das Weib ist eigentlich völlig zahm», meinte er entschuldigend. «Ihr bekommt beide für vierhundert Gramm – ach, was sage ich: dreihundertfünfzig!»
    Der Graf schaute erst zu Aki, der sich gegen Grims Würgegriff wehrte, dann wieder zu Asny. Kopfschüttelnd meinte er: «Mein letztes Wort: zweihundertfünfzig Gramm – für die Frau.»

47.
    Brun wartete ungeduldig auf der Baustelle. Er wischte sich mit der Hand durchs Gesicht. Unter seinen Fingern knisterten die Bartstoppeln.
    Wie alt bin ich?, überlegte er. Vor fünfunddreißig Jahren hatte der Herrgott ihn das Licht der Welt erblicken lassen. Fünfunddreißig Jahre. Damit war er älter, als es viele andere Menschen überhaupt wurden. Aber er war nicht annähernd so alt, wie er sich fühlte.
    Sein Blick wanderte über die Gerüste an den aufragenden Wänden der Kirche empor. Über dem nach oben hin noch offenen Bauwerk fegten dunkle Wolken hinweg.
    Würde Gott ihm noch genug Zeit schenken, damit er die Fertigstellung dieses mächtigen Gebäudes erlebte? Die Vollendung der neuen Klosterkirche, die Brun zu Ehren des Allmächtigen errichten ließ.
    Er atmete tief ein und spürte die Schmerzen in seiner Brust. Er hustete Schleim, aber heute kein Blut, immerhin. Natürlich gehörte er ins Bett, damit sein müder Körper Kraft schöpfen konnte. Damit sein Geist Ruhe fand. In den vergangenen Wochen hatte er beim Beten immer wieder gemerkt, dass er nicht bei der Sache war, dass seine Gedanken abschweiften. Aber Brun konnte es sich im Moment nicht leisten, sich auszuruhen. Er musste in Bewegung bleiben. Es gab noch viel zu erledigen.
    Immer nach der Art der klugen Biene am frühen Morgen, dachte er und musste lächeln. Natürlich war es Gottes Art, nach der er handelte, nicht die Art der Biene. Der Herr führte ihn, und Brun, sein treuer Diener, baute ihm diese Kirche so wie all die anderen Kirchen in Colonia. Sankt Martin etwa, im Hafenviertel, oder Sankt Alexander.
    Als hätte Brun nicht schon genug mit anderen Dingen zu schaffen. Er war der Erzbischof von Colonia, und er war der Erzkanzler und somit nach seinem Bruder Otto, dem König, der mächtigste Mann im Königreich.
    Unermüdlich sorgte sich Brun um die weltlichen und geistlichen Angelegenheiten – eine Ämterhäufung, die ihm nicht nur Freunde einbrachte. Er kannte die Klagen mancher Würdenträger: Warum befasste sich ein Bischof mit politischen Angelegenheiten und Kriegen, obwohl er eigentlich die Seelsorge übernommen hatte?
    Weil es der Weg war, den Gott ihm vorbestimmt hatte. Brun würde ihn gehen bis an das Ende seiner irdischen Tage. So lange würde er, der vom Papst das Pallium empfangen hatte, die Geschicke der Kirche und die des
sacrum imperium
, des heiligen Reiches, lenken, nach bestem Wissen und Gewissen.
    Und für den Preis seiner Gesundheit.
    Eine Böe fauchte durch die offenen Fenster ins Innere der Basilika, in der am heutigen Sonntag, dem heiligen Tag des Herrn, nicht gearbeitet wurde. Staub wirbelte auf und legte sich über die zu mannshohen Stapeln aufgeschichteten Balken, Steine und anderen Baumaterialien.
    Brun zog den Schafspelz, den er über dem einfachen Gewand trug, fest vor der Brust zusammen. Ein Wassertropfen kitzelte seine Nase. Es begann zu regnen.
    Ich

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