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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Kräutersammeln in den Wald begleitete, ließ er keine Gelegenheit aus, sich die schwierigsten Ziele zu suchen, etwa einen Ast ganz hoch oben in einer Baumkrone oder einen Pilz, der an einer weit entfernt stehenden Birke wuchs. Über die Jahre war Aki immer besser geworden, sogar so gut, dass Velva und Asny ihn manchmal baten, ihnen ein Kunststück vorzuführen, indem er ein scheinbar unmögliches Ziel treffen sollte. Wenn er es tatsächlich traf, klatschten sie. Sogar Gyda ließ sich von der Begeisterung mitreißen.
    Bei all diesen Würfen hatte er gelernt, worauf es dabei ankam: eine ruhige Hand und absolute Konzentration. Er, Aki der Werfer, musste eins werden mit dem Ball und mit dem Ziel.
    «He, Hurensohn, Huuurensooohn!», blökte Grim. «Ich habe noch mal über dich nachgedacht. Vielleicht war dein Vater doch kein Waldtroll. Die gibt’s ja in der Mark gar nicht. Nein, bestimmt war dein Vater früher dieses Schwein hier hinter mir. Kannst du es sehen? Es sieht genauso dämlich aus wie du …»
    Aki atmete tief ein und wieder aus, tief ein und wieder aus. Das Zittern seiner rechten Hand ließ nach. Er stellte sich in Wurfposition, den linken Fuß vor, die Knie leicht gebeugt, die rechte Hand mit dem Ball auf Schulterhöhe.
    Und jetzt das Auge trocknen!
    Er wischte mit dem linken Hemdsärmel über seine Augen, bis der Stoff die Tränen aufgesaugt hatte. Als er den Arm wegnahm, hatte er einen überraschend klaren Blick auf Grim und den Schweinethron. Doch zwischen Akis Ball und dem Ziel war immer noch der Knattré, den Grim fest in den Händen hielt.
    Schnell machte Aki zwei Schritte nach rechts.
    Das Grinsen verschwand aus Grims Gesicht. Er hatte wohl fest damit gerechnet, Aki werde wie zuvor aus dem Stand werfen.
    Bevor Grim reagieren konnte, visierte Aki den Schweineschädel an. Und dann warf er. Der Lederball flog am Schlagholz vorbei. Aki hörte ein knackendes Geräusch. Doch bevor er erkennen konnte, ob er das Ziel wirklich getroffen hatte, wurde der Schweinethron von Grims Körper verdeckt.
    Dann verschleierten die Tränen wieder Akis Blick.
    Das Letzte, was er gesehen hatte, war Grim, der mit einem Messer in der Hand auf ihn zukam.
    «Du hast verloren!», hörte er Grim brüllen.
    Schnell trocknete Aki wieder seine Augen. Grim war nur noch wenige Schritte entfernt, die Messerklinge auf Aki gerichtet.
    Hatte er wirklich nicht getroffen? Aber er hatte doch gehört, wie die Knochen splitterten. Der Blick auf den Schweinethron war durch Grims massigen Körper noch immer versperrt.
    Aki wich zurück, drehte sich um und wollte weglaufen. Aber da sprang ihm Bjelfi in den Weg und hielt ihn auf.
    «Hab ihn!», rief Bjelfi.
    «Halt ihn ja gut fest», bellte Grim. «Der Hurensohn hat verloren. Einen dritten Wurf wird er nicht bekommen. Er kann nichts mehr sehen. Jetzt kann ich mit ihm machen, was ich will!»
    «Schneid ihm was ab», rief einer der Jungen.
    «Wie wär’s mit der Nase?», meinte ein anderer.
    «Oder die Ohren», schlug Grim vor.
    «Ja, weg mit den Ohren!», riefen die anderen.
    Sie wollten Blut sehen.
    Aki gelang es, sich trotz Bjelfis Klammergriff über die Augen zu wischen, und das Erste, was er sah, war sein Geldbeutel an Bjelfis Gürtel. Er griff danach, riss ihn ab, und mit der gleichen Bewegung drehte er sich aus der Umklammerung. Bevor Bjelfi oder ein anderer Junge reagieren konnte, war Aki frei. Und dann rannte er um sein Leben.
    Undeutlich erkannte er am Rand der Wiese das Stadttor. Wenn es ihm gelang, sein Haus zu erreichen, war er in Sicherheit. Grim und die anderen würden ihm nicht hineinfolgen. Sie mochten großmäulig sein und sich an wehrlosen Jungen vergehen, aber sie würden es nicht wagen, die Seherin anzugreifen.
    Aki hatte einen kleinen Vorsprung von etwa zehn Schritten, der jedoch rasch größer wurde. Auf dem weichen Untergrund kam ihm sein geringeres Körpergewicht zugute. Er hörte seine Verfolger fluchen, deren Füße tief in Pfützen einsanken. Bald darauf erreichte Aki den Knüppelpfad, der zum Stadttor führte. Immer wieder musste er beim Laufen seine Augen trocknen, um nicht aus dem Tritt zu kommen und die Richtung zu verlieren.
    Das Tor war geöffnet. Die beiden bewaffneten Männer, die dort Wache hielten, warfen Aki und seinen Verfolgern belustigte Blicke zu. Offenbar hielten sie die Jagd für ein harmloses Spiel. An die Wachen wollte Aki sich jedoch nicht wenden. Immerhin war es möglich, dass einer von ihnen mit Grims Vater, dem Sklavenhändler, befreundet war. Aki

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