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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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machte er einen kleinen Schritt nach rechts und verlagerte sein Gewicht.
    Das war ein Fehler!
    Er trat auf einen Ast. Es knackte.
    Sofort drehte der Graf den Kopf. Als er keine zehn Schritt entfernt den Krieger im Wald sah, ließ er sich blitzschnell vom Pferd fallen.
    Hakon schoss. Doch der Pfeil streifte nur den Helm und riss ihn dem Grafen vom Kopf.
    Inzwischen hatten die Soldaten den Weg freigeräumt.
    Hakon sah die Beine unter dem Pferd, und er hörte den Grafen nach seinen Männern rufen, die aber noch ein gutes Stück entfernt waren. Offenbar begriffen sie nicht, was vor sich ging.
    Hakon schnellte durchs Unterholz, sprang auf den Weg und lief von hinten um das Pferd herum. Der Graf war aufgesprungen und hatte sein Schwert gezogen. Ein überraschter, fast panischer Ausdruck zeichnete sein Gesicht.
    Hakon spannte den Bogen. Die Soldaten hatten den Angriff inzwischen bemerkt. Aber sie mussten erst ihre Waffen von den Pferden holen.
    Der Graf ließ sein Schwert sinken.
    «Willst du Geld?», fragte er mit vor Angst bebender Stimme. «Ich habe viel, ganz viel. Du kannst alles haben!»
    «Nein, nicht dein Geld!», erwiderte Hakon in der Sprache der Sachsen, die ihm ein Sklave am Hof seines Vaters beigebracht hatte. «Ich will dein Leben!»
    «Aber warum?», stammelte der Graf. «Ich mache dich zu einem reichen Mann!»
    «Ich nehme dir
dein
Leben, weil du das von Thora genommen hast», erwiderte Hakon.
    Hinter dem Grafen näherten sich Soldaten. Sie bewegten sich jedoch sehr langsam, offenbar befürchteten sie, ihren Herrn durch einen übereilten Angriff zu gefährden.
    «Thora?», rief der Graf. «Was für eine Thora?»
    «Du wirst dich an ihren Namen erinnern!»
    Der Mund des Grafen klappte auf und wieder zu. Dann stieß er aus: «Du kommst aus Hladir!»
    Er wusste es!
    Und er war schnell, so verdammt schnell. Als Hakon schoss, gelang es ihm, den Kopf zur Seite zu drehen. Der Pfeil streifte nur die Stirn, riss Hautfetzen vom Schädelknochen ab, flog weiter und bohrte sich in die Brust eines Soldaten.
    Hakon bekam keine Gelegenheit, einen weiteren Pfeil zu ziehen. Ehe er sichs versah, stürmte sein Gegner mit erhobenem Schwert auf ihn zu. Da jagte ein schwarzer Schatten heran. Wie Messerspitzen bohrten sich die Krallen in den Kopf des Grafen, während der Rabe nach den Augen hackte. Der Mann schrie um sein Leben, ließ das Schwert fallen und riss die Arme hoch, um den Raben zu verscheuchen. Doch die klatschenden Flügel raubten ihm die Sicht. Blutfäden quollen aus den Wunden und überzogen das bleiche Gesicht mit einem roten Netz.
    Hakon warf den Bogen weg und zog sein Messer. Doch das Knäuel aus schlagenden Flügeln, herumwirbelnden Federn und blutiger Gesichtsmasse bot kein leichtes Ziel. Außerdem kamen die Soldaten. Wütende Schreie waren zu hören. Eine Lanze zischte an Hakon vorbei. Er rief nach dem Raben. Der Vogel ließ von seinem Opfer ab, und Hakon stach zu. Traf etwas. Aber was? Als er das Messer zurückzog, hing ein Lederband mit einem Stück Holz daran.
    Und dann griffen die Soldaten an.

7.
    Als Aki seine Gegner sah, ergriff ihn wieder jene Angst, die er in den letzten Tagen meist erfolgreich verdrängt hatte. Seine Furcht wurde mit jedem Schritt größer, den er sich den anderen Jungen näherte. Sie erwarteten ihn – wie verabredet – auf einer Feuchtwiese jenseits des Schutzwalls der Stadt. Dort stand Grim inmitten eines halben Dutzends junger Kerle, die die Narben in ihren Gesichtern wie Trophäen trugen – Trophäen einer Schlacht, die täglich im Herzen der großen Hafenstadt Haithabu tobte und die Aki aufzufressen drohte.
    Er verlangsamte seine Schritte. Sein Herz schlug wie eine Trommel. Alles in ihm schrie danach, sich einfach umzudrehen.
    Wegzulaufen.
    Aber er ging weiter. Immer weiter.
    Gleich nach Einbruch der Morgendämmerung hatte er sich aus dem Haus geschlichen. Seine Mutter und die Schwestern hatten noch geschlafen. Der Krieger war in der vergangenen Nacht wieder verschwunden, nachdem Velva ihn durch ihre Zeremonie mit dem Schutz der Götter gerüstet hatte. Der Krieger wollte jemanden töten. Wen, das wusste Aki nicht, und letztlich konnte es ihm auch egal sein. Er hatte seinen eigenen Kampf zu führen. Und er würde sich ihm stellen. Wenn er jetzt kniff, wäre er Grim auf ewig ausgeliefert.
    Nur noch zwanzig Schritt trennten Aki von den anderen.
    Über dem See, an dem der Hafen lag und der mit dem langen Fjord verbunden war, waberten gespenstische Nebelschwaden.
    Noch zehn

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