Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
Vom Netzwerk:
Schritt zu nah kommst, schneid ich dir den Hals durch, dachte Aki.
    Aber er sagte nichts.
    Grim stieß einen bitteren Fluch aus. Offenbar war er überzeugt gewesen, schon in der ersten Runde zu gewinnen. Er riss Aki das Schlagholz aus der Hand und baute sich nun seinerseits vor dem Schweineschädel auf.
    Aki hob den Ball auf, den er abgewehrt hatte, und stellte sich damit in Position. Im Gegensatz zu Grim ging er nicht hin und her, sondern blieb auf einer Stelle stehen. Grim war ein nervöser Kerl, der keinen Moment stillhalten konnte. Das wollte sich Aki zunutze machen.
    Und es kam, wie er gehofft hatte. Es dauerte nicht lange, bis Grim ungeduldig wurde, und als er den Knattré etwas sinken ließ, holte Aki blitzschnell aus und warf.
    Grim hob das Schlagholz wieder an. Aber er war zu langsam und erwischte den Ball nur mit der Kante. Dennoch reichte es, um den Ball abzulenken, und so streifte er das Ziel nur. Der Schädel wackelte zwar ein wenig, blieb aber auf dem Thron liegen.
    Aki ballte vor Enttäuschung die Fäuste. Nun musste er eine weitere Runde überstehen.
    Grims Freunde jubelten.
    Doch Grim selbst starrte Aki entgeistert an. Offenbar hatte er nicht mit einem so harten Wurf gerechnet und musste erkennen, dass Aki kein so leichter Gegner war, wie er geglaubt hatte.
    Aki ließ sich wieder das Schlagholz geben und nahm Aufstellung vor dem Schweinethron.
    Dieses Mal schien auch Grim seine Taktik geändert zu haben. Wie zuvor Aki, blieb er auf der Stelle stehen und wartete. Dass ihm das nicht leichtfiel, war daran zu merken, dass er immer wieder mit den Füßen aufstampfte.
    Akis Muskeln waren bis in die letzte Faser gespannt.
    Komm schon, du Bastard, dachte er. Sag was! Beschimpf mich! Beleidige meine Familie! Und dann wirf endlich den verdammten Ball!
    Aber Grim schwieg. Stattdessen verzerrte sich sein verschobenes Gesicht zu einem albernen Grinsen.
    Aki versuchte, nicht hinzusehen, um sich von der Grimasse nicht ablenken zu lassen. Er konzentrierte sich ausschließlich auf den Ball.
    Das war unklug. Hätte er Grim direkt in die Augen geschaut, hätte er vielleicht dessen Absicht erkannt. So aber sah er nicht, dass sein Gegenspieler nicht mehr den Schweineknochen anvisierte – sondern Aki.
    Und dann warf er Aki den Ball mitten ins Gesicht. Grelle Blitze durchzuckten dessen Kopf. Der steinharte Ball hatte sein linkes Auge getroffen. Der Knattré entglitt seinen Händen. Pochende Schmerzen hämmerten in seinem Kopf, als wäre er mit einem Schmiedehammer geschlagen worden.
    Sofort begann das Auge anzuschwellen, und Tränen traten ihm in die Augen.
    Wie durch einen Schleier sah er Grim kommen, den Ball aufheben und ihm in die Hand drücken.
    «Musst nicht weinen, Einauge. Jetzt bist du dran.»
    Grims Freunde johlten vor Begeisterung.
    Ja, jetzt war er dran. Aber wie sollte er noch den Schweinethron treffen? Nicht nur das verletzte Auge, sondern auch das andere war voller Tränen. Aki verfluchte sich selbst für seine Unaufmerksamkeit. Er hätte ahnen müssen, dass Grim versuchen würde, ihn zu überrumpeln. Und dabei war das Recht auch noch auf dessen Seite. Keine Regel verbot es, den gegnerischen Spieler zu bewerfen.
    Während er aus dem Innenkreis ging, trocknete er seine Augen an einem Hemdsärmel. Nach einigen Schritten drehte er sich um. Schemenhaft erkannte er die weißen Steine des inneren Kreises, dann Grim und dahinter den Schweineschädel auf dem Holzklotz. Er sah das alles nur undeutlich, wie durch einen Nebelschleier.
    Aki hob den Ball, doch bevor er werfen konnte, füllten sich seine Augen schon wieder mit Tränen. Der Nebel wurde zu einer dichten Wand.
    «Oh, der Kleine weint», hörte er Grim rufen. «Hat er Angst? Will er zu seiner Mutter?»
    Die anderen Jungen lachten schallend.
    Aki zwang sich, ruhig zu atmen. Immerhin wusste er nun, dass er nicht völlig blind war, sondern sich zumindest für einen kurzen Moment etwas Sicht verschaffen konnte, indem er sich die Tränen aus den Augen wischte.
    Aber er musste sich beeilen. Das linke Auge schwoll immer weiter zu, und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ihm auch das Wegwischen der Tränen nichts mehr nützen würde.
    Er würde nur noch einen Wurf haben – nur noch diesen einen Wurf!
    Bislang war es für Aki nicht mehr als eine spielerische Herausforderung gewesen, alle möglichen Ziele zu treffen. Unzählige Male hatte er mit allem geübt, was man werfen konnte: mit Steinen, Eicheln, Kastanien oder Stöcken. Wenn er Velva zum

Weitere Kostenlose Bücher