Das Lied des Todes
zeigte er dunkle, verfaulte Zähne, denen er wohl seinen Beinamen
blatand
, Blauzahn, zu verdanken hatte.
Unterdessen ließ Thankmar den Hohn der Dänen mit einem Lächeln über sich ergehen.
«Ich bin überfallen worden», sagte er schließlich.
Harald grinste immer breiter, trank schnell einen weiteren Schluck und rief mit gespielter Entrüstung: «Wer würde es wohl wagen, einen Sachsen zu überfallen?»
Thankmar holte tief Luft, dann antwortete er laut: «Euer Feind – der Sohn des Seeräubers Sigurd von Hladir!»
Sofort verstummten alle Geräusche im Saal.
Wenn die Dänen jemanden noch mehr hassten als die Sachsen, war es Sigurd, der Jarl von Hladir, der Stadt am nördlichen Handelsweg im Lande Nordmoer. Die Sachsen hielten zwar die dänische Mark besetzt, und die Abgaben der Dänen füllten als Gegenleistung für den Frieden Ottos Kriegskasse. Aber der Seeräuber Sigurd war es, der den dänischen Fürsten weitaus empfindlichere Verluste zufügte. Seit vielen Jahren überfiel der Normanne immer wieder Handelsschiffe, auf denen Pelze und Felle aus den nördlichen Ländern in den Süden transportiert wurden. Viele der kostbaren Waren sollten nach Haithabu gebracht werden, und es gab wohl kaum einen Mann im Saal, der durch Sigurds Überfälle keine Verluste erlitten hatte.
«Ihr habt gegen Sigurds Sohn gekämpft?», rief Harald mit schriller Stimme, die sich fast zu überschlagen schien.
«Ja, das habe ich», erwiderte Thankmar und vermied es tunlichst, den Vogel zu erwähnen. «Er hat versucht, mich umzubringen.»
«Warum?», fragte Harald.
«Weil ich Hladir überfallen habe.»
Nun dachte im Saal niemand mehr an Essen oder Trinken. Alle Dänen starrten Thankmar an, als habe dieser soeben behauptet, ihren obersten Gott Odin im Zweikampf getötet zu haben.
«Warum weiß ich davon nichts?», fragte Harald.
«Woher solltet Ihr? Meine Flotte ist erst vor wenigen Tagen in den Hafen der Hammaburg zurückgekehrt.»
«Habt Ihr den Bastard getötet?», rief ein Däne aus dem Saal.
«Nein, leider hielt sich Sigurd nicht in Hladir auf. Aber ich habe ihm als Gruß zwei Dutzend Männer und Frauen aufhängen lassen. Außerdem habe ich seine Schatzkammer ausgeräumt und all seine geraubten Pelze mitgenommen.»
«Das sind unsere Pelze!», riefen drei oder vier Dänen.
Andere hämmerten wütend mit den Fäusten auf die Tische.
Thankmar drehte sich zu ihnen um. «Dann frage ich mich, warum ihr nicht selbst nach Hladir gefahren seid, um euch euer Eigentum zurückzuholen!»
Niemand im Saal antwortete darauf. Keiner wollte zugeben, dass er sich vor Sigurd fürchtete.
Nach einer Weile ergriff Harald wieder das Wort. «Könnt Ihr Euren Überfall beweisen, Markgraf?»
In Thankmars Kopf begannen die Schmerzen wieder zu hämmern.
Bislang war sein Plan aufgegangen. Es war ihm gelungen, die Dänen, die ihm feindselig gegenüberstanden, zu beeindrucken, ja sogar ihre Anerkennung zu bekommen. Nun musste er jedoch allmählich auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen kommen: die Anklage gegen die Zauberin!
Aus seinem Mantel holte er zwei in ein Tuch eingeschlagene Gegenstände hervor, die er auswickelte und für alle sichtbar in die Höhe hielt. Es waren ein Ring und ein Finger, der bereits begonnen hatte zu verwesen und entsprechend unangenehm roch.
Neugierig beugte Harald sich so weit vor, dass es schien, als würde er jeden Augenblick vom Stuhl fallen.
«Dieser Ring», rief Thankmar, wobei er ihn allen zeigte, «gehörte einst meinem Vorgänger, der vor etwa einem Jahr ermordet wurde – dem Markgrafen Wichmann.»
Danach zeigte er den Finger herum. «Der Ring steckte auf diesem Finger. Und dieser Finger gehört Sigurds Frau Bergljot.»
«Ihr habt dem Weib den Finger abgeschnitten?», wollte Harald wissen.
«Nicht abgeschnitten – abgebissen!» Thankmar knirschte grinsend mit den Zähnen.
Harald verzog das Gesicht.
«Das beweist gar nichts!», rief ein Mann, der in der Nähe des Königs saß. «Der Finger kann jedem gehören!»
«Der Finger vielleicht», erwiderte Thankmar. «Aber nicht der Siegelring des Grafen der dänischen Mark!»
Er schaute sich den Zwischenrufer an, einen kräftigen Dänen in mittleren Jahren, dem das halbe rechte Ohr fehlte.
«Das müsst Ihr doch am besten wissen, Storolf», sagte er dann, «schließlich seid Ihr der Jarl von Haithabu – und in dieser Stadt hat auch Wichmann gelebt. Ihr selbst habt damals Wichmanns Leiche untersucht, nachdem ihm die Kehle durchgeschnitten wurde.
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