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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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einzige schmerzgeplagte Grimasse.
    Aki musste wegschauen. Er konnte den Anblick seiner leidenden Mutter nicht mehr ertragen.
    Es zerriss ihn. Es fraß ihn auf. Es brachte ihn um.
    Er drehte den Kopf und sah über den Dächern die ersten Maste der Schiffe aufragen. Nur noch zwei, drei Ecken, dann würden sie im Hafen sein, und alles würde ein Ende finden.
    Mit einem Mal blieb der Ochsenkarren stehen.
    Der Weg war blockiert.
    Hunderte Menschen waren zum Hafen geströmt, und durch die Gassen drängten weitere heran. Alle Bewohner Haithabus schienen auf den Beinen zu sein. Offenbar hatte sich in Windeseile herumgesprochen, was an diesem Morgen geschehen sollte.
    Durch die Gitterstäbe des Karrens sah Aki die Männer, Frauen und Kinder am Weg stehen. Handwerker hatten ihre Werkzeuge beiseitegelegt, Händler ihre Stände verlassen, sogar Bauern waren gekommen, obwohl noch Erntezeit war. Unter den Leuten waren nicht wenige, die Aki kannte, die meisten nur flüchtig; aber es gab auch den einen oder anderen, der sich irgendwann einmal von Velva hatte behandeln lassen – früher, bevor der Bischof ihr den Heilzauber verboten hatte.
    Beim Anblick der Menschen empfand Aki im ersten Moment nur Wut. Er nahm an, dass sie lediglich hier herumstanden, weil sie auf ein wenig Abwechslung vom Alltag hofften. Wo waren sie gestern gewesen, als die bösen Männer sich an Velva und ihrer Familie vergangen hatten? Was hatten sie getan, um das Schlimme zu verhindern?
    Nichts! Und nun standen sie hier – und gafften!
    Doch auf den zweiten Blick merkte Aki, dass er den Menschen unrecht tat. Er sah in ihre vor Ingrimm erstarrten Gesichter und verstand, dass sich ihr unterdrückter Zorn nicht gegen Velva, sondern gegen die Blutmäntel richtete, die den Karren begleiteten.
    Auch die Sachsen spürten die verbissene Feindseligkeit und rückten enger zusammen. Es dauerte nicht lange, bis der Karren von einer Menschenmenge umringt war.
    Ein Mann beschimpfte die Sachsen als Besatzer, als Räuber und Mörder. Sofort stimmten andere in die Rufe ein. Von irgendwoher flog ein Stein und prallte gegen den Helm eines Soldaten.
    Die Blutmäntel zogen ihre Schwerter, um die Dänen auf Abstand zu halten. Die Menschen beugten sich dem Stahl, wichen zurück, und die Blutmäntel drängten nach. Der Karren ruckte wieder langsam vorwärts.
    «Macht Platz!», brüllten die Soldaten. «Platz! Platz! Verschwindet! Aus dem Weg!»
    Die Klingen blitzten drohend in der Morgensonne.
    Es war nicht mehr weit bis zum Hafen, als Aki auf einem Dach einen Raben sah und an den geheimnisvollen Krieger denken musste. War es Zufall gewesen, dass der Mann kurz vor dem großen Unglück zu Velva gekommen war?, fragte er sich.
    Ein schrecklicher Verdacht beschlich ihn: Was, wenn Velva all ihre göttliche Kraft an den Krieger weitergegeben und sich selbst und ihre Kinder dem Bösen schutzlos ausgeliefert hatte?
    Wenn dies wirklich so gewesen sein sollte, dann hoffte Aki, dass der Krieger wenigstens gut mit Velvas Gabe umgegangen war und dass er sein Ziel erreicht hatte: jemanden zu töten, mit dem offenbar auch Velva kein Mitleid kannte!
    Eine Böe brauste vom Fjord her über die Dächer, fuhr durch Akis Haar und zauste auf dem Dach dem Raben das schwarze Gefieder.
    Der Karren rollte weiter, und der Vogel verschwand aus Akis Blickfeld.
    Allmählich näherten sie sich dem Hafen. Auch hier waren überall Menschen. Sie drängten sich am Ufer und auf den Landebrücken. Auf dem Wasser schaukelten vollbesetzte Fischerboote.
    Nur auf der größten, etwa einhundert Fuß langen Brücke war noch reichlich Platz. Blutmäntel und dänische Krieger hielten die Menge zurück. Als der Karren auf sie zuhielt, sah Aki auf dem Brückenkopf einen Mann auf einem breiten Holzstuhl sitzen. Schon aus der Ferne erkannte er den König. Auf seiner Brust glitzerte der goldene Kettenschmuck in den Strahlen der Morgensonne.
    Und da war noch etwas anderes, ein Gestell. Aki hob den Kopf, um es besser sehen zu können. Es war ein Käfig, der mit einem Seil an einem Poller festgebunden war und etwa vier Fuß hoch, breit und tief war – gerade groß genug, um einen Menschen darin einzusperren.

11.
    Voller Ungeduld ging Thankmar vor der Brücke auf und ab.
    Der Transport der Verurteilten hatte viel länger gedauert als erwartet, und je länger er dauerte, desto mehr Schaulustige versammelten sich im Hafen. Das gefiel Thankmar überhaupt nicht. Natürlich hatte er bei der Hinrichtung mit Zuschauern gerechnet, aber

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