Das Lied des Todes
Zurückhaltung üben!», sagte er warnend. «Ihr seid der Jarl von Haithabu, und Haithabu gehört zur Mark, und die Mark – das muss ich Euch nicht erklären! – steht unter der Herrschaft meines Königs. Und ich bin der Verwalter des königlichen Eigentums. Also bin ich Euer Herr, Jarl Storolf. Ich habe das Recht, Aufständische zu bestrafen. Aufständische wie Euch, wenn Ihr keine Ruhe gebt …»
Er drehte sich zu der geknebelten Seherin um, die ihn mit aufgerissenen Augen anstarrte.
«Und Aufständische wie die Seherin, die die Menschen gegen mich aufbringt, damit sie keine Abgaben zahlen, und die mit den Feinden paktiert, um Sachsen zu töten.»
Er hob seine Stimme noch weiter an, auch wenn die Kopfschmerzen immer unerträglicher wurden, und rief: «Deshalb wird nun Gott, der Allmächtige, über Schuld oder Unschuld der Seherin entscheiden!»
Thankmar schaute zu Poppo, der vor Eifer zu glühen schien.
9.
Thankmar hatte sich in den vergangenen Monaten häufig gefragt, was dieser Bischof eigentlich für ein Mensch war. Was Poppo ihm selbst von sich erzählt hatte, war dürftig und reichte kaum aus, sich ein umfassendes Bild vom Wesen dieses Mannes zu machen.
Der Bischof war um die dreißig und entstammte einem sächsischen Adelsgeschlecht. Sein Vater war ein gewisser Graf Wedu gewesen, dessen Namen Thankmar im Zusammenhang mit grausamen Folterungen und Morden gehört hatte, die Wedu an seinen Untertanen verübt haben sollte. Poppo hatte die Domschule von Magontia besucht und dann Gott eine Zeitlang als Priester gedient. Eines Tages wurde Adaldag, der Erzbischof von der Hammaburg, auf ihn aufmerksam und schickte ihn als einen von drei Missionaren zu den Dänen. Vor sechs Jahren, im Jahr 950 , hatte man Poppo das neu geschaffene Bistum der dänischen Mark zugesprochen, während die anderen beiden Missionare weiter in den Norden nach Ripen und Aarhus gesandt wurden.
Dies alles hatte Thankmar Poppo regelrecht aus der Nase ziehen müssen. Der Bischof antwortete auf Fragen, die ihn betrafen, nur widerwillig und ausweichend. Nur in einem konnte man sich sicher sein: dass Poppo unerschütterlich an die Macht Gottes glaubte.
Und dass er geradezu besessen davon war, alle heidnischen Umtriebe auszumerzen und die Welt von teuflischem Treiben zu reinigen.
Diese Besessenheit gefiel Thankmar, und so überließ er dem Bischof nun das Feld, damit der endlich die Dänen von der Wahrheit überzeugen konnte.
Poppo hatte von Thankmars Soldaten einen mit Wasser gefüllten Kessel herbeischaffen lassen, den man über das Feuer hängte. Poppo legte neue Holzscheite auf und schürte die Glut, wobei er mit leiser Stimme Gebete vor sich hin murmelte. Er genoss sichtlich die Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwurde.
Nachdem er einige Tropfen Weihwasser in den kochenden Kesselinhalt geträufelt hatte, rief er laut: «Zur Ehre des einzigen Gottes – es soll geschehen!»
Feierlich wandte er sich an die Versammlung und sagte: «Der Mensch ist als Geschöpf Gottes ursprünglich gut, aber Luzifer, der böse, durch seinen Hochmut gefallene Engel, verführt den Mensch zum Bösen. Und besonders häufig macht er sich die Frau, die ein Gefäß der Sünde ist, zum Werkzeug.»
Abrupt drehte er sich zur Seherin um, die bei ihren Kindern stand. Alle vier waren noch immer gefesselt und geknebelt, sogar das kleine Mädchen. Es lag zu Füßen seiner Mutter, da es kaum selbständig stehen konnte. Einer von Thankmars Soldaten hatte es zum Versammlungshaus tragen müssen.
Im Kessel brodelte es.
«Der Teufel hat dieses Weib verführt», fuhr Poppo fort. «Und ich bin als Priester Gottes dazu verpflichtet, die Brut Satans anzuklagen. Zur Ehre Gottes werde ich dieses Land vom falschzüngigen Schlangengezücht säubern und die Zauberin der Prüfung Gottes unterziehen. Sie soll zum Tode verurteilt werden – es sei denn, das Weib beweist, dass es reinen Herzens ist …»
«Die Seherin soll sich verteidigen», rief Storolf dazwischen. «Nehmt ihr den Knebel ab!»
Mehrere Dänen pflichteten Storolf bei und verlangten lautstark, dass man die Seherin zu Wort kommen lassen müsse. Harald rief sie mehrmals zur Ruhe. Doch die Männer beruhigten sich erst wieder, nachdem der König Thankmar aufforderte, der Seherin den Knebel abzunehmen.
Harald trat vor sie. «Du hast alles mit angehört», sagte er. «Was hast du zu den Anschuldigungen zu sagen?»
«Lasst mich und meine Kinder frei», erwiderte sie. «Wir werden die Stadt verlassen und niemals
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