Das Lied des Todes
zu fangen!
20.
In Thankmars Haus auf der Markgrafenburg wurde es höllisch heiß. Er lag nackt und mit ausgestreckten Armen und Beinen auf dem Boden, das Gesicht zur Decke gerichtet. Seine Hand- und Fußgelenke waren an Pflöcke gefesselt, die in den festgestampften Fußboden getrieben worden waren. Um ihn herum standen mehr als ein Dutzend mit Tran gefüllte Metallschalen, aus denen Flammen emporzüngelten. Die Feuer brannten so heiß, dass es Thankmar den Schweiß aus den Poren trieb.
«Worauf wartet Ihr?», herrschte er den Bischof an. «Beginnt endlich mit der Zeremonie!»
Nach einigem Zögern kniete Poppo neben ihm nieder. In der einen Hand hielt der Bischof eine kleine Schale mit Weihwasser, in der anderen ein frisch geschärftes Messer. Er stellte das Weihwasser auf den Boden, doch als er die Hand in die Schale tauchen wollte, hielt er inne.
«Worauf wartet Ihr?», keuchte Thankmar.
«Es gibt … ein Problem», erwiderte Poppo ungewöhnlich zurückhaltend.
«Was für ein verdammtes Problem?»
Thankmar schwitzte noch stärker. Der Bischof sollte endlich anfangen. Aber er senkte nur den Kopf ganz tief, damit er dem Grafen nicht in die Augen schauen musste.
«Mir ist etwas abhandengekommen», sagte er leise.
Was erzählte der Bischof für einen Unsinn? Das Warten machte Thankmar wahnsinnig! Er litt schreckliche Ängste, wie vor jedem Versuch, den Teufel aus seinem Körper und seiner Seele zu treiben. Dutzende Male hatte Poppo in den vergangenen Jahren dieses Ritual mit ihm durchgeführt. Es hatte nichts geholfen. Im Gegenteil: Der Einfluss des Fluchs war immer größer geworden. Thankmar hatte zwar seine Reichtümer und Schätze mehren können. Aber er litt noch immer Höllenqualen, wenn die Fratze der Seherin vor seinem inneren Auge erschien und ihm den Fluch entgegenschleuderte wie glühende Scheite.
«Was ist Euch … abhandengekommen?», stieß er aus.
«Erinnert Ihr Euch an den großen Mönch, Graf?»
Thankmar stöhnte zwischen zusammengepressten Zähnen. Was sollte das nun wieder? Natürlich erinnerte er sich an den Dreckskerl! Schlimm genug, dass er entkommen war. Er hatte sich beim Bischof eingeschlichen, angeblich, um bei der Missionierung der Heiden zu helfen. Aber Thankmar hatte ihm von Anfang an misstraut. Einmal Normanne, immer Normanne. Da halfen auch tausend Gebete nichts. Nein, es war eindeutig: Der Mönch hatte ihn ausspionieren wollen. Schließlich war er von keinem anderen in die dänische Mark geschickt worden als vom Erzkanzler Brun von Colonia, einem Bruder des Königs Otto. Natürlich, um hinter Thankmars Pläne zu kommen. Aber er hatte den Mönch durchschaut und ärgerte sich maßlos darüber, ihn nicht gleich getötet zu haben. Stattdessen hatte er dies dem Bischof überlassen.
«Was hat der Mönch mit dem Teufel in meinem Leib zu tun?»
«Er … hat mir etwas gestohlen.»
«Und was? Redet endlich, Bischof – und dann fangt mit der Zeremonie an!»
«Mein Buch mit den heiligen Schriften.»
«Dann müsst Ihr es ohne die Schriften tun.»
«Aber ich brauche sie, um den Dämon zu beschwören.»
«Wollt Ihr damit sagen, Ihr hättet das Evangelium des heiligen Markus nicht im Kopf?»
Poppo räusperte sich. «Doch, selbstverständlich … zumindest den größten Teil, aber …»
«Na, also. Fangt endlich an.»
Poppo suchte kurz nach den richtigen Worten, dann begann er von Jesus zu erzählen, der in der Synagoge von Kapernaum auf einen besessenen Menschen traf. Jesus, der Nazarener, sei gekommen, um sie zu verderben, rief der Mensch. Doch Jesus bedrohte ihn: Der Teufel solle aus ihm fahren!
«Und der unsaubere Geist riss ihn hin und her und schrie laut – und fuhr aus von ihm! So soll es geschehen», rief Poppo und machte eine Pause.
«Weitermachen», sagte Thankmar ungeduldig. «Ich spüre die Geister des Fluchs kommen.»
Der Bischof tauchte seine Finger ins Weihwasser und besprengte damit Thankmars schwitzenden Körper.
Im selben Moment stießen die Worte der Seherin mit voller Wucht in sein Bewusstsein vor. Er bäumte sich auf und zerrte an den Fesseln.
Ich werde dir die Brust zerbrechen, dass giftige Nattern dein Herz zernagen!
, schrie die Seherin.
Wie aus der Ferne hörte er Poppos beschwörende Stimme: «Ich befehle dir, wer immer du bist, unreiner Geist, und allen deinen Gefährten, dass du deinen Namen sagst …»
Dass deine Ohren für immer ertauben und deine Augen aus deinem Schädel springen!
Thankmar warf sich in den Fesseln hin und her. Poppo
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