Das Lied des Todes
verfluche die Christen, und ich verfluche ihren Gott!»
Ketil war entsetzt. «Es sind nicht alle Christen so wie der Bischof …»
Schnell nahm er Aki die Bibel aus der Hand und steckte sie in die Tasche zurück. «Ich werde tun, was Ihr verlangt, Seherin. Bitte verbrennt das Buch nicht. Gleich nachher werde ich es fortbringen, weit weg von Euch. Ihr werdet es nicht mehr zu Gesicht bekommen. Das verspreche ich.»
«Wann?» Velvas Stimme war scharf wie ein Schwert. Sie zitterte am ganzen Leib.
Asny war zu ihr gerutscht und legte ihr beruhigend einen Arm um die Schultern.
Da mischte Aki sich ein. «Ketil könnte mich begleiten, wenn ich zum Markt gehe, und dann das Buch irgendwo …»
«Er soll es an einer Stelle verstecken, die nur er allein wiederfindet. Niemals wieder sollst du dieses Buch anfassen, hörst du!»
Aki nickte heftig. «Dieses Buch ist etwas Böses, Mutter. Ich will damit nichts zu tun haben. Das verspreche ich dir.»
Aber er war sich nicht sicher, ob er dieses Versprechen würde halten können.
22.
Thankmar ignorierte das Klopfen an der Tür.
Seine Hände waren tief in einer der Truhen vergraben, die mit Gold, Silber, Edelsteinen und anderen Schätzen gefüllt waren. Das Kapital, mit dem er ein Heer aufrüsten wollte. Thankmar führte Listen, um den Überblick zu behalten über das Vermögen, das er den Dänen abpresste. Nach seinen Berechnungen hatte er inzwischen so viele Reichtümer angehäuft, um damit mehrere hundert Mann für eine längere Zeit unter Waffen zu halten. Aber es war noch viel zu wenig, um damit ein Heer gegen Otto zu führen. Der König konnte Tausende mobilisieren.
Wieder klopfte es, dieses Mal deutlich lauter.
«Ich will nicht gestört werden», rief Thankmar.
«Herr, ein Gesandter ist gekommen», erwiderte einer der Soldaten von draußen. «Er will Euch sprechen.»
«Ich habe nein gesagt!», rief Thankmar.
Vor der Tür waren gedämpfte Stimmen zu hören.
«Der Gesandte besteht darauf», sagte der Soldat. «Er behauptet, es sei dringend. Es geht um den König.»
Thankmar horchte auf. Er hatte schon lange keine Neuigkeiten mehr über seinen Onkel eingeholt. Zu sehr war er damit beschäftigt gewesen, die Abgaben einzutreiben und die Seherin zu jagen. Letzteres war trotz aller Anstrengungen bislang erfolglos geblieben. Das Weib schien wie vom Erdboden verschluckt, und ihr Fluch lastete schwer auf ihm.
Thankmar klappte den Deckel zu, schob die Truhe zu den anderen beiden in die Ecke zurück und zog den Vorhang wieder davor. Dann ging er zur Tür und öffnete sie. Draußen standen zwei seiner Soldaten mit einem kleinen, dicken Mann, der mit seinem runden Gesicht und breiten Mund aussah wie eine Erdkröte.
«Graf Thankmar von der Mersburg!», sagte er mit verzückter Stimme. «Ich freue mich, Euch zu sehen. Gestatten, Huga ist mein Name.»
Huga trug einen weiten, mit Pelz besetzten Mantel über einem dicken Leinenhemd, einer blauen Hose und staubigen Lederstiefeln. Auf seinen Fingern steckten goldene Ringe.
«Was habt Ihr mir zu sagen?», fragte Thankmar.
«Nicht hier draußen», entgegnete Huga. «Würdet Ihr mich hereinbitten, Graf Thankmar? Die Nachricht, die ich Euch zu überbringen habe, ist nur für Eure Ohren bestimmt.»
Thankmar machte noch immer keine Anstalten, die Tür freizugeben. Die Geheimnistuerei ging ihm gehörig auf die Nerven. Der Gesandte wäre nicht der erste Mann, der sich unter einem Vorwand auf der Markgrafenburg einschlich, um dann doch nur irgendwelche unnützen Dinge verkaufen zu wollen.
«Wer ist Euer Herr?», fragte Thankmar barsch.
Huga warf einen verstohlenen Blick auf die Soldaten. «Auch das sollte unter uns bleiben.»
Einen Augenblick lang überlegte Thankmar, den Kerl einfach aus der Burg werfen zu lassen. Aber dann sah er, dass die Kröte in Begleitung einer Handvoll bewaffneter Männer war, die bei ihren Pferden im Hintergrund standen. Einer der Männer stand mit dem Rücken zu Thankmar, und als er das Zeichen des Falken auf dem Mantel erkannte, wurde ihm klar, wer Hugas Herr war. Thankmar trat von der Tür zurück.
Sofort huschte der Dicke an ihm vorbei ins Haus, und Thankmar schloss hinter ihm die Tür. In der Kammer betrachtete Huga mit fragendem Blick die Pflöcke, die von Poppos Zeremonie am Nachmittag noch immer im Boden steckten.
Thankmar nahm auf einem Stuhl Platz, ohne seinem Gast eine Sitzgelegenheit anzubieten.
«Ihr seid also der Gesandte von Evurhard», sagte er. «Welche Nachricht will er mir
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