Das Lied des Todes
er, wie er von Colonia aus in die Mark reiste und zu den Männern kam, zu denen Brun ihn geschickt hatte: Bischof Poppo und Graf Thankmar.
Als Aki die Namen hörte, fuhr er zusammen. Asny stieß einen stöhnenden Laut aus. Nur Velva blieb ganz still, den Blick weiterhin auf den Mönch gerichtet.
«Ich werde von einem Erlebnis erzählen, das dazu geführt hat, dass ich nun hier bei euch sitze – mit dreckiger Kleidung und ohne mein Kreuz.»
Leise fügte er hinzu: «Und mit der Ungewissheit, ob es wirklich den Gott gibt, den die … den wir Christen anbeten.»
Ketil seufzte. «Bereits auf dem Weg durch die Mark hatte ich die ersten Gerüchte über den Grafen und den Bischof gehört. Und es wurde auch immer wieder Euer Name erwähnt, Seherin. Es hieß, er habe Euch gezwungen, Eure Arme in kochendes Wasser zu tauchen.»
Velva nickte, krempelte die Ärmel hoch und zeigte Ketil ihre mit vernarbtem Gewebe überwucherten Arme und Hände. Einige der Wunden waren nicht richtig verheilt. Hin und wieder platzten sie auf und eiterten.
«Ich wäre niemals auf den Gedanken gekommen, christliche Prediger könnten zu so etwas fähig sein», sagte Ketil. «Es heißt doch immer, die Heiden wären die Barbaren, denen ein Menschenleben nichts gilt. Nachdem ich also einige Wochen beim Bischof war, nahmen er und der Graf mich mit zu einer – wie sie es nannten – Untersuchung. Begleitet von der Haustruppe des Grafen, ritten wir zu einem kleinen Gehöft, einige Meilen südwestlich von Haithabu. Es hieß, der Hofherr sei ein reicher Mann, der die Götzen anbete und dem Grafen keine Abgaben zahle. Doch sein Hof bestand lediglich aus einigen zerfallenen Schuppen und einem Haus, durch dessen Wände der Wind pfiff. Der Bauer und seine Familie waren so arm, dass sie ihr ganzes Vieh gegessen hatten. Da gab es nichts, was er seinem Lehnsherrn hätte geben können. Dennoch durchsuchten sie das Haus und schlugen alles kurz und klein. Das Einzige, was sie fanden, war ein alter Schweineknochen, in den Runen geschnitzt waren. Ein Däne, der in Diensten des Grafen steht, hat die Zeichen übersetzt – und dabei fiel auch wieder Euer Name, Seherin …»
«Wie hieß der Bauer?», fragte Velva.
«Ich glaube, sie nannten ihn Hallstein …»
«Hallstein Blund, der Blinzler!»
«Ihr kennt ihn?»
«Ich habe vor vielen Jahren einen seiner Söhne geheilt.»
Ketil holte tief Luft, bevor er fortfuhr. «Der Bauer hatte eine Frau und mehrere Kinder, von denen das jüngste erst drei oder vier Jahre alt war. Bis auf Hallstein ließ der Graf alle Menschen im Haus zurück. Den Bauern aber führte er nach draußen. Als ich ahnte, was mit den Leuten geschehen sollte, versuchte ich, es dem Grafen auszureden. Ich flehte ihn und den Bischof um das Leben der Menschen an. Aber was haben sie getan? Sie haben mich ausgelacht und dann die Soldaten mit brennenden Fackeln zum Haus geschickt. Ich wollte die Soldaten aufhalten. Drei von ihnen konnte ich niederschlagen. Da griffen mich die anderen an. Es waren so viele … und sie hatten Waffen.»
Ketils Augen füllten sich mit Tränen. «Sie haben mich an einen Pfahl gefesselt, damit ich mit ansah, was mit denjenigen geschieht, die dem Grafen die Abgaben vorenthalten – und die sich mit Euch, Seherin, abgeben. Die Soldaten haben Feuer ans Haus gelegt und die Menschen darin verbrennen lassen. Oh Gott! Die Schreie, diese grauenvollen Schreie!»
«Und was geschah mit Hallstein?», fragte Velva.
«Der Graf ließ ihn an ein Kreuz nageln», sagte Ketil, «und dann hat er ihm … den Bauch aufgeschnitten …»
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. «Als alles vorbei war, haben sie mich nach Haithabu gebracht. In ihren Augen hatte ich als Missionar versagt, weil ich Mitleid mit Heiden zeigte. Der Bischof wollte mir den Prozess machen. Ich sollte sterben.»
«Das ist ihm offenbar nicht gelungen», meinte Velva.
Schweigen breitete sich in der Höhle aus. Das Feuer war längst niedergebrannt. Unter der Asche knackte leise die Glut.
«Was willst du jetzt tun?», fragte Aki nach einer Weile.
Ketil blickte in die Runde. «Eigentlich muss ich so schnell wie möglich nach Colonia zurück, um Herrn Brun davon zu berichten. Aber nun bin ich hin und her gerissen. Ich sehe doch, dass ihr Hilfe braucht. Wahrscheinlich habt Ihr recht, Seherin – wahrscheinlich waren es wirklich die Götter, die mich zu Euch geführt haben. Ich muss etwas von der Schuld abtragen, die ich auf mich geladen habe, weil ich den Tod des
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