Das Lied des Todes
Bauern und seiner Familie nicht verhindert habe.»
«Hast du an meinen Worten gezweifelt, Ketil Kormakson?», fragte Velva.
«Nein … ich … ach, ich weiß nicht. Lasst mich Euch helfen. Bald kommt der Winter, und Ihr braucht Getreide fürs Brot und Salz zum Pökeln.»
«Salz?», sagte Velva. «Salz habe ich seit Jahren nicht mehr gesehen, und das bisschen Getreide, das wir haben, stehlen wir von den Feldern der Bauern, die selbst nicht genug haben.»
Ketil öffnete seine Tasche, die neben ihm lag, und zog einen kleinen Lederbeutel daraus hervor. Dabei rutschte ein anderer Gegenstand mit heraus, den Ketil jedoch schnell wieder in die Tasche zurückschob. Natürlich hatten es die anderen bemerkt, aber keiner sagte etwas.
Er hielt den Lederbeutel hoch, und als er ihn schüttelte, klimperte es.
«In diesem Beutel», sagte er, «sind zwanzig Silbermünzen. Damit wollte ich die Schifffahrt bezahlen. Aber ich bin überzeugt, dass Ihr das Geld nötiger braucht.»
Velva hob die Augenbrauen. «Wir können nicht einfach auf einen Markt gehen, um Salz und Getreide zu kaufen. Auch du wirst das nicht tun können. Ein Mann wie du fällt auf.»
Ketil zeigte auf Aki. «Und was ist mit ihm? Ich habe gehört, dass in wenigen Tagen der Herbstmarkt am Danewerk beginnt.»
Aki zuckte zusammen. Sollte das bedeuten, dass er die Sachen einkaufen sollte? Seit vier Jahren hatte er den Wald nicht mehr verlassen, und der nächste Marktplatz war mindestens zwei oder drei Tagesmärsche entfernt. Der Gedanke, anderen Menschen zu begegnen, machte ihm Angst, und außerdem …
«Man könnte mich ebenfalls wiedererkennen!», sagte er.
«Wie alt warst du damals, als man euch in die Wälder verbannte?», entgegnete Ketil.
«Zwölf.»
«Also ein Junge. Jetzt bist du ein Mann.»
Aki nickte, und je länger er über den Gedanken nachdachte, desto besser gefiel er ihm. Mit Getreide und gepökeltem Fleisch wären ihre Sorgen erst einmal vergessen, vor allem wenn der Winter tatsächlich so hart werden würde, wie Velva es vorausgesehen hatte. Ja, er würde es tun!
«Sobald es hell wird, gehe ich los», sagte er.
Da fiel sein Blick zum Eingang. Draußen graute bereits der Morgen, und im Wald hob der Chor der Singvögel an.
«Auf diesen einen Tag kommt es nicht an, Aki», sagte Velva. «Wir werden jetzt schlafen und danach Gydas Grabhügel mit Blumen schmücken.»
Damit waren alle einverstanden, und Aki schalt sich innerlich, dass er bei all dem Gerede Gydas Andenken vergessen hatte. Sie hatten immer noch nicht wirklich Abschied von ihr genommen. Anschließend war noch genug Zeit, den großen Markt am Danewerk zu besuchen.
Als Aki gerade auf das Lager kriechen wollte, erinnerte er sich an den Gegenstand, den Ketil offensichtlich vor ihnen geheim halten wollte.
Er zeigte auf die Tasche und sagte: «Ich möchte wissen, was darin ist!»
Das Gesicht des Mönchs lief rot an. «Ach, das ist nichts, völlig unwichtig.»
Aki ließ nicht locker. «Zeig es uns!»
Da auch Asny und Velva ihn auffordernd anschauten, öffnete Ketil erneut die Tasche, nahm den Gegenstand heraus und reichte ihn Velva. Es war ein Buch. Velva klappte den Einband auf und warf einen Blick auf die mit Schriftzeichen und bunten Zeichnungen versehenen Pergamente. Während sie die Seiten umschlug, wurde ihre Miene immer härter.
«Es gehörte dem Bischof», sagte Ketil kleinlaut, «ebenso wie das Geld.»
«Dann hast du die Sachen gestohlen», warf Aki ein.
«Der Bischof wird toben. Es sind die einzigen heiligen Schriften hier weit und breit.»
Velva schlug das Buch mit einem Knall zu. Doch bevor sie es Ketil zurückgab, bat Aki, es einmal anschauen zu dürfen. Sie reichte es ihm widerwillig. Vorsichtig legte er das Buch auf seinen Schoß und schlug es auf. Die vielen Schriftzeichen faszinierten ihn.
«Das sind die Worte Gottes …», sagte Ketil.
«Das Buch hat hier nichts verloren!», rief Velva scharf. «Bring es weg, Mönch, oder ich verbrenne es!»
«Nein», entgegnete Ketil. «Das dürft Ihr nicht tun!»
Velva gab nicht nach. «Wenn du das Buch behältst, musst du uns sofort verlassen!»
«Es ist sehr wertvoll …»
Velva war wie verwandelt. Ihre Augen funkelten, die Sonnenbilder auf ihrem Hals und ihrer Stirn pulsierten wie Glut in einem Schmiedefeuer. Sie breitete die Arme aus und rief: «Im Namen dieser Schrift morden und plündern die Christen. Du hast es selbst miterlebt, Ketil Kormakson! Sie töten alle, die nicht auf diese Worte schwören. Ich
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