Das Lied des Todes
konzentriert hatte? Thankmar versuchte sich in Erinnerung zu rufen, was unmittelbar danach geschehen war, nachdem er die beiden Magyaren getötet hatte. Bevor er sich erneut gegen Otto hätte wenden können, waren Soldaten der königlichen Leibgarde hinter dem Zelt aufgetaucht, und Evurhard war unter ihnen gewesen. Wenn Thankmar es richtig bedachte, war Evurhard sogar einer der Ersten gewesen, die dem König zu Hilfe eilen wollten …
«Ich habe das Messer gezogen, um den König vor den Magyaren zu beschützen», sagte Thankmar.
Ein listiges Lächeln legte sich auf Hugas Lippen. «Das ist Euch gelungen.»
«Ihr seid Euch sicherlich bewusst, dass man Eure Worte als Hochverrat auslegen kann. Ich könnte Euch auf der Stelle festnehmen und an den König ausliefern.»
Trotz der Drohung verschwand das Lächeln nicht von Hugas Lippen. «Das würdet Ihr nicht tun. Wenn mein Herr nicht von Eurer Feindschaft gegenüber Otto überzeugt wäre, hätte er mich wohl kaum zu Euch geschickt.»
Damit hat die Kröte natürlich recht, dachte Thankmar.
«Nun gut», meinte er, «nehmen wir einmal an, diese Vorwürfe, die Ihr mir gegenüber vorbringt, wären nicht vollends an den Haaren herbeigezogen. Dann sagt mir, warum Evurhard ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt ein Heer zusammenziehen will.»
Huga ließ sich Zeit mit einer Antwort. Er hob in aller Seelenruhe den Becher auf, füllte ihn am Tisch mit Wein und trank einen Schluck. Dann wandte er sich wieder Thankmar zu und sagte: «Die Sachsen bekommen einen neuen König.»
Diese Nachricht traf Thankmar wie ein Blitz. «Es wird einen neuen König geben? Ist Otto krank – oder tot?»
«Leider nicht. Er erfreut sich bester Gesundheit, sieht man von den Magenbeschwerden ab, die ihn immer wieder quälen. Nein, der Grund ist, dass er seinen Sohn zum Mitkönig krönen lassen wird.»
«Der Junge? Das ist doch ein Kind!», rief Thankmar.
Otto hatte, soweit Thankmar wusste, fünf Kinder. Von denen kamen jedoch vier als Kandidaten für die Thronnachfolge nicht in Frage. Wilhelm, der älteste Sohn, war das Ergebnis einer vorehelichen Beziehung Ottos mit einer Slawin. Dann schieden natürlich die beiden Kinder aus Ottos erster Ehe mit Edgith aus, da sie bereits tot waren: zum einen sein Sohn Liudolf, der einst selbst gegen den König einen Aufstand angeführt hatte und der vor drei Jahren gestorben war, ebenso wie die Tochter Liudgard, die vor sieben Jahren das Zeitliche gesegnet hatte. Aus Ottos zweiter Ehe mit Adelheid von Burgund stammte die Tochter Mathilde – und der jüngste Sohn, der wie sein Vater Otto genannt wurde und erst vor fünf Jahren, im Jahr der großen Schlacht gegen die Ungarn, zur Welt gekommen war.
«Warum will er den Knaben als Mitkönig?», fragte Thankmar.
«Um durch dessen Krönung seine Macht in der Heimat abzusichern. Otto hat große Pläne. Im kommenden Jahr wird er für längere Zeit nach Italien reisen, wo er sich von Papst Johannes zum Kaiser krönen lassen will.»
«Zum Kaiser?», stieß Thankmar aus.
Er schleppte sich zum Stuhl zurück und ließ sich mit weichen Knien darauf niedersinken.
Wenn Otto erst in Italien war, hätte Thankmar keinen Zugriff mehr auf ihn. Es wäre unmöglich, ihn zu töten. Und mit der Krönung seines Sohnes würde Otto die Thronfolge für seine Familie sichern.
«Versteht Ihr nun, warum wir so schnell handeln müssen?», fragte Huga.
Thankmar hob den Kopf. «Wann kann ich Evurhard treffen?»
«Bald», sagte Huga und stellte den leeren Becher auf dem Tisch ab. «Ich werde den Herzog darüber in Kenntnis setzen, dass Ihr ihn anhören werdet. Wir werden Euch so schnell wie möglich aufsuchen.»
Er wandte sich zum Gehen. An der Tür drehte er sich noch einmal um, in seinem Krötengesicht hatte sich wieder die alte Überheblichkeit breitgemacht.
«Da wäre noch eine andere Sache, die ich Euch mitteilen soll», sagte er.
«Und was?», entgegnete Thankmar ungeduldig und massierte seine Schläfen.
Er wollte endlich wieder allein sein. In seinem Kopf kündigten sich die Schmerzen an.
«Evurhard wird sich Euch gegenüber erkenntlich zeigen», sagte Huga. «Möglicherweise erhaltet Ihr die Ländereien Eurer Familie zurück, Thankmar von der Mersburg. Das wäre doch sicher ganz in Eurem Sinne, oder?»
Ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete Huga die Tür und zog sie hinter sich fest zu.
Thankmar saß noch lange da und starrte auf die geschlossene Tür. Es dauerte eine ganze Weile, bis ihm die Bedeutung von Hugas letzten Worten
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