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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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klarwurde. Wenn man ihn mit den alten Ländereien seiner Familie abspeisen wollte, konnte das nur eines bedeuten: Evurhard erhob selbst Anspruch auf den Thron!

23.
    Aki und Ketil hatten nach einem Marsch durch Unterholz und Sümpfe den östlichen Waldrand erreicht. Seine anfängliche Abneigung gegen den Mönch hatte Aki bald abgelegt. In den Tagen, die sie zusammen waren, hatten sie über viele Dinge gesprochen. Aki war nun überzeugt, dass der Mönch – egal ob Christ oder nicht – ein Mann war, auf den man sich verlassen konnte.
    Am Waldrand hatten sie aus Baumstämmen, Ästen und Sträuchern ein überdachtes Lager errichtet, in dem sie nachts Schutz vor der Kälte fanden. Bei Tage beobachtete Aki von einem Baum aus den etwa eine halbe Meile entfernten Marktplatz. Das weitläufig eingezäunte Gelände befand sich am Fuß des dänischen Grenzwalls, dem Danewerk. Immer neue Händler trafen mit Pferden und Ochsenkarren ein und bauten Stände, Buden und Zelte auf. Allmählich erreichte der Markt die Ausmaße einer kleinen Stadt.
    Dann, am dritten Morgen nach Akis und Ketils Ankunft, war es endlich so weit – der Markt wurde eröffnet.
    Aki kletterte aus der Baumkrone und lief zu Ketil, der im Lager seine Hände über den glimmenden Resten des Nachtfeuers rieb.
    «Schon wieder zurück?», fragte Ketil überrascht.
    «Die Kundschaft kommt», sagte Aki, vom Laufen noch ganz außer Atem. «Ich habe es genau gesehen, die Buden sind geöffnet.»
    «Dann gehst du am besten gleich dorthin. Aber zuvor will ich dir noch zwei wichtige Sachen mit auf den Weg geben.»
    Ketil holte den Lederbeutel mit den Münzen hervor und zählte sechs davon ab, die er selbst behielt. Die restlichen vierzehn schüttete er wieder in den Beutel und reichte ihn Aki.
    «Das sollte für die Lebensmittel reichen», meinte Ketil. «Aber kauf nur so viel, wie du auch tragen kannst.»
    Aki steckte die Münzen ein, dann wollte er wissen: «Und was willst du mir noch mitgeben?»
    Als der Mönch das Buch auspackte, das er entgegen Velvas Willen nicht im Wald versteckt hatte, wurde Aki ungeduldig. Er befürchtete, Ketil wolle ihm eine lange Passage aus einer der Schriften vortragen, wie er es immer wieder während der Pausen getan hatte, die sie auf ihrem Marsch einlegten. Dabei wollte Aki nur eines: so schnell wie möglich auf den Markt gehen, einkaufen und dann zu Velva und Asny zurückkehren. In den Jahren der Verbannung war er noch nie so lange von seiner Familie getrennt gewesen. Der Gedanke, dass die beiden Frauen allein waren, behagte ihm gar nicht. Außerdem war kaum noch etwas zu essen in der Höhle, und Aki hielt es für unwahrscheinlich, dass Asny doch noch einen Hecht fangen würde.
    Während Aki wartete, schlug Ketil das Buch auf und suchte nach einer bestimmten Stelle. Als er sie gefunden hatte, begann er stockend vorzulesen. Das Lesen bereitete ihm große Mühe. Immer wieder musste er innehalten, um einen Satz von neuem zu beginnen. Umso begeisterter war er über Akis Interesse gewesen, ebenfalls lesen zu lernen. Die vergangenen Abende hatte der Mönch dazu genutzt, Aki die Buchstaben und Laute zu erklären. Aki machte das sehr gut und lernte schnell, wie Ketil immer wieder betonte, und es würde nicht mehr lange dauern, bis er flüssiger lesen würde als der Mönch.
    «Nur auf Gott wartet still meine Seele», sagte Ketil, nachdem er die Stelle mehrfach für sich gelesen hatte, «denn von ihm kommt meine Hoffnung. Nur er ist mein Fels und mein Heil, meine sichere Burg; ich werde nicht wanken. Bei Gott ist mein Heil und meine Ehre, der Fels meiner Stärke, meine Zuversicht ist bei Gott …»
    Als Ketil den letzten Vers des Psalms vorgetragen hatte, sah er Aki aus seinen großen, dunklen Augen erwartungsvoll an. Doch Aki zuckte nur mit den Schultern und fragte, was die Worte zu bedeuten hätten.
    Ketil runzelte die Stirn. «Hast du mir nicht zugehört? Die Worte sind doch eindeutig! Sie sagen, dass Gott auch deine Burg ist, und wenn du auf ihn vertraust, wird dir auf dem Markt nichts zustoßen.»
    «Ich glaube nicht an den Christengott.»
    «Ja, das weiß ich. Dennoch möchte ich dir diesen Psalm mitgeben, denn auch mein Herr Brun hat ihn mir vorgetragen, bevor er mich hierhergeschickt hat.»
    Aki schüttelte den Kopf. «Viel genützt haben dir die Worte ja nicht.»
    Dann drehte er sich um, um endlich den Einkauf hinter sich zu bringen. Aber nach ein paar Schritten tat es ihm leid, dass er so abweisend reagiert hatte. Schließlich hatte

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