Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
schnitt und ein Tropfen Blut aus ihrem Mittelfinger hervorquoll. Sie lutschte es mit einem Fluch auf den Lippen ab.
Marianne stieß ihr mit einem nachsichtigen Lächeln in die Seite. » Macht einen Moment Pause, Frau Dietl. Ich schneide die Zwiebeln. «
Am folgenden Sonntag traf Sebastian den alten Mann nach der Abendmesse in der Nähe der Sebalduskirche wieder. Nachdem er Tassilo berichtet hatte, dass Gottfried wahrscheinlich bereits im vorigen Jahr ins Bayerische gezogen war, reichte der Bettler ihm die Hand.
» Ich gehe mit den anderen nach Augsburg. Lebt wohl, Herr Stäubling. «
Sebastian wünschte dem Alten alles Gute und blickte sich unschlüssig auf dem Hauptmarkt um. Seine Gedanken wanderten zu Barbara. Wie von selbst wurden seine Schritte zu dem Haus der Freislers gelenkt.
Die Frau des Steinmetzes öffnete ihm. » Sebastian, komm herein. Das Abendessen ist gleich fertig, möchtest du mit uns essen? «
» Gern. Ist Euer Mann auch zu Hause? «
» Er arbeitet noch in der Werkstatt. Würdest du ihm Bescheid geben? «
Sebastian ging über den Hof zwischen etlichen bereits bearbeiteten Steinblöcken hindurch und betrat die Werkstatt. Wie bei seinem letztem Besuch war der Steinmetz gerade mit einem Steinblock beschäftigt. Herr Freisler wischte sich den Schweiß von der Stirn. » Sei mir gegrüßt, Sebastian. «
Der erwiderte den Gruß. » Ich soll Euch von Eurer Frau ausrichten, das Abendessen sei bald fertig. «
» Schön, ich habe einen Bärenhunger. «
Freisler trat auf den Hof, tauchte die Arme bis zu den Ellbogen in einen mit Wasser gefüllten Zuber und wusch sich die Hände. Danach ging er mit Sebastian ins Haus, wo sie der Duft frisch gebackenen Brotes empfing. Sebastian lächelte Barbara zu, die gemeinsam mit ihren Brüdern in die Küche kam.
» Was gibt es Neues? « , wollte ihr Vater wissen, während Frau Freisler einen großen Topf Mus und einen Korb mit Brot auf den Tisch stellte.
» Im nächsten Monat beginne ich eine Buchdruckerlehre bei den Kobergers « , verkündete Sebastian mit einem Lächeln.
Barbaras Augen leuchteten auf, und auch Michael und Katharina Freislers Mienen zeigten deutlich, wie froh die beiden diese Neuigkeit stimmte.
» Wie lange dauert es, bis du die Gesellenprüfung ablegen wirst? « , erkundigte sich Barbaras Vater und tunkte eine Scheibe Brot in seine Schüssel.
» Drei Jahre, meinte der Meister, bei dem ich in die Lehre gehen werde. « Sebastian erzählte, wie es dazu gekommen war, dass er sich im Offizin der Kobergers vorgestellt hatte.
Mit offenem Mund lauschten Paul und Endres seinem Bericht über die großen Druckerpressen.
» Du bist sicher nicht nur vorbeigekommen, um uns von deiner Lehre bei den Kobergers zu erzählen « , meinte der Steinmetz, nachdem sie gegessen hatten. » Warum macht ihr beiden nicht noch einen kleinen Spaziergang? «
An diesem Abend trat Sebastian erst spät den Heimweg an. Sein Herz hüpfte vor Freude, als er sich noch einmal umdrehte und Barbara zuwinkte. Sie erwiderte seinen Gruß, indem sie ihm eine Kusshand zuwarf. Wenn er nicht fürchten müsste, sich der Lächerlichkeit preiszugeben, hätte er Luftsprünge gemacht. So lächelte er nur und ging leichten Schrittes davon. Sein Mund prickelte noch immer von dem zarten Kuss, den sie ihm zum Abschied geschenkt hatte. » Du traust dich ja doch nicht « , hatte Barbara ihm danach ins Ohr geflüstert. Am nächsten Wochenende wollten sie sich erneut treffen. Sebastian würde die Tage bis dahin zählen.
Zu Hause angekommen, konnte er sein Geheimnis nicht lange für sich behalten. Wie sollte es ihm auch gelingen, wenn er ständig vor sich hin pfiff oder mehr als ausgelassen mit Lenchen spielte? Als er Anna von seiner Liebsten berichtete, küsste sie ihn auf beide Wangen und bat ihn, Barbara bald wieder in die Waaggasse einzuladen.
Im Traum kam Korbinian des Nachts zu ihr. Er trug seine besten Kleider, und das helle, lockige Haar hatte er sorgfältig gekämmt. Der Schein des Talglichts, das Anna stets auf der Fensterbank stehen hatte, zauberte einen weichen Schimmer auf seine Züge. Er streckte ihr die Hände entgegen. Nur wenige Schritte trennten sie noch voneinander. Auf einmal wurde ihr bewusst, dass sie nichts als ein leichtes Untergewand am Leibe trug. In seine Augen trat ein Ausdruck der Entschlossenheit, als er die letzte Distanz überwand und vor ihr stehen blieb. Ihr Herz hämmerte. Ob er es hören konnte? Kühlender Wind drang von dem geöffneten Fenster in die Kammer und
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