Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
bauschte ihr Gewand. Ohne den Blick von ihr zu wenden, legte Korbinian sein Wams ab, öffnete die Schnüre seines Hemdes und zog es über den Kopf. Er warf es zu Boden.
Seine Schultern waren breiter, als sie es in Erinnerung hatte. Sein Brustkorb hob und senkte sich rasch. Anna getraute sich kaum zu atmen, während er sie in die Arme zog und rückwärts zu ihrer Schlafstatt drängte. Sie ließ es geschehen und sank aufs Bett. Es gab keine Fragen, keine Zweifel mehr, nur die Wärme seiner Hände, die ihr Gesicht umschlossen, und seinen Mund, der den ihren zu erforschen begann. Ihr ganzes Leben, so meinte sie, hatte sie auf diesen einen Moment gewartet. Anna schloss die Lider und erwiderte den Kuss, der nach Sehnsucht und Glück schmeckte. Flüchtig nahm sie noch seinen typischen Geruch wahr, als sie sich an ihn schmiegte und die Hände über seinen Rücken gleiten ließ. Hitze schoss ihr durch den Leib, und sie flüsterte seinen Namen. Da löste sich Korbinian von ihr. Er hob den Kopf, und sie begegnete seinem Blick. Das Talglicht flackerte, warf diffuse Schatten auf die Wände und Korbinians Züge. Sie streckte die Hand nach ihm aus, um ihn wieder zu sich herabzuziehen. Ihre Finger ertasteten weiches Haar. Korbinian lächelte melancholisch und küsste sie voller Leidenschaft.
Anna erwachte mit einem Ruck. Sie bebte am ganzen Körper. Tränen rannen ihr ungehindert über die Wangen, versickerten im Kissen. Als sie die Beine aus dem Bett schwang, brach ihr kalter Schweiß aus den Poren. Rasch nahm sie einige tiefe Atemzüge und wischte sich über das feuchte Gesicht. Das Nachtgewand klebte ihr am Leib. Nur mit Mühe gelang es ihr, die Gedanken und Gefühle zu ordnen, die sie einem Sturm gleich hin und her schüttelten. Noch immer meinte sie, Korbinians Hände auf ihrer Haut spüren zu können. Nie zuvor hatte sie ähnlich empfunden, und die Wildheit ihres Begehrens ließ ihr das Blut in die Wangen schießen. Anna schüttelte sich, um die verwirrenden Bilder des Traumes zu verdrängen. Doch ihr war, als wäre ein Teil von ihr nach wie vor im Liebesspiel mit Korbinian gefangen, während der andere Teil jäh von neu entflammter Trauer um ihn erfasst und mitgerissen wurde.
Allmählich beruhigte sich ihr Herzschlag. Barfuß und auf Zehenspitzen ging Anna in die Küche, griff nach einem Becher, füllte ihn und stürzte den Inhalt herunter. Mit einem Seufzen auf den Lippen sank sie auf einen der Stühle, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und vergrub das Gesicht in den Händen. Lange Zeit saß Anna einfach nur regungslos da, dann hob sie den Kopf und starrte aus dem Fenster in die finstere Nacht. Die Leidenschaft, diese absolute Liebe und Hingabe, die sie eben noch im Traum mit Korbinian geteilt hatte, waren ihr bisher fremd gewesen.
Annas Herz schlug dumpf und schwer. Wieso erkannte sie erst jetzt die schmerzliche Wahrheit, da es zu spät war? Lange Zeit hatte sie sich eingeredet, nichts als zärtliche Zuneigung für ihren Mann zu empfinden, aber es war weit mehr als das. Sie liebte und begehrte Korbinian, sehnte sich verzweifelt nach ihm. Nur nach ihm. Bis in die Grundfeste von der Heftigkeit ihrer Empfindungen erschüttert, ließ sie ihrem Kummer freien Lauf und verharrte am Tisch, bis die Nacht dem Tage wich und die ersten Sonnenstrahlen den Himmel verfärbten.
KAPITEL 43
H eiß schien die Sonne vom Himmel, seit Tagen hatte es nicht mehr geregnet. Ein Bad wäre wunderbar, ging es Sebastian durch den Kopf, als er sich das Haar aus der schweißnassen Stirn schob. Hatte er ganz in der Nähe nicht erst neulich eine Badestube gesehen? Viele gab es nicht mehr in der Stadt, der Rat hatte in den letzten Jahren etliche Badehäuser geschlossen. Zu groß war die Gefahr, sich dort neben anderen Seuchen auch mit der Franzosenkrankheit anzustecken. Ein junger Bursche, der ihm auf der anderen Seite der Holzbrücke entgegenkam, gab bereitwillig Auskunft, und wenig später hatte Sebastian das Haus in der Weißgerbergasse erreicht.
Er warf dem an einem Tischchen sitzenden Mann zwei Pfennige zu und betrat die Kammer, in der die Badenden ihre Kleider ablegten. An einem der Haken hingen eine abgewetzte Hose sowie eine Jacke, ein Paar staubige Stiefel standen darunter. Sebastian schlüpfte aus seinen Sachen, griff nach einem der bereitliegenden Schwämme und zog eine weitere Holztür auf. In der Mitte des Raumes befand sich ein großer, aus Eichenholz gezimmerter Zuber. Der dunkelhaarige Mann, der sich entspannt zurückgelehnt hatte,
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