Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
mal, als sie mich im letzten Jahr bei der Heiltumsweisung erwischt und verprügelt haben – irre ich mich, oder habe ich dich da zwischen diesen Verrückten gesehen? «
» Darüber mag ich jetzt nicht reden. Es gibt Wichtigeres « , versetzte Sebastian. » Lass uns ein paar Schritte gehen, ja? «
» Als ich dich kennengelernt habe, hast du mir erzählt, du wärst auf der Suche nach deiner Schwester « , meinte Caspar, während sie sich von den übrigen Männern entfernten.
» Ich habe sie inzwischen gefunden und lebe bei ihr. Unser heutiges Treffen ist kein Zufall. Ich habe nach dir gesucht. «
Caspar blieb neben dem breiten Tor eines der Häuser stehen, in denen die Nürnberger gewaltige Mengen Korn lagerten.
» Ich bin auf der Suche nach einem jungen Kerl namens Gottfried. Ein Bekannter von mir macht sich große Sorgen um ihn. « Mit wenigen Sätzen beschrieb er das Aussehen des Mannes.
Der Einarmige fuhr sich über die verunstaltete Wange. » Mir scheint, du bist immer auf der Suche nach irgendjemand. Dünn, Mitte bis Ende zwanzig und eine Hand mit einem roten Schal umwickelt? Ich glaube, den komischen Kauz hab ich tatsächlich mal getroffen. Wenn wir denselben Mann meinen, dann ist er blond, trägt die Haare halblang und hat einen Mittelscheitel. Fast wie ein Weib. Hatte nichts als Träumereien im Kopf und sprach unentwegt von einer jungen Frau und einem besseren Leben, das er mit ihr in Straubing führen wollte. Als ob das so einfach wäre! Das war aber schon im letzten Jahr, im späten Herbst. «
» Das könnte passen. Mein Bekannter vermisst diesen Gottfried seit dem vergangenen November. «
» Es kommt öfter vor, dass ein Bettler einfach so verschwindet « , erwiderte Caspar. » Nach denen fragt doch keiner. «
Die beiden redeten noch ein Weilchen miteinander, bis Sebastian ihm alles Gute wünschte und nach Haus zurückkehrte.
Anna hielt sich im Garten auf. Sie saß auf der einfachen Holzbank, nippte an einem Becher verdünntem Wein und sah Lenchen zu. Die Kleine hockte auf der Grasfläche zwischen den Beeten und spielte mit ihrem Holzpferdchen.
Sebastian setzte sich neben seine Schwester. » Ich habe Caspar wiedergefunden « , begann er. » Er wusste tatsächlich etwas über diesen Gottfried, nach dem Tassilo sucht, und konnte den Mann näher beschreiben. Am auffälligsten war wohl der rote Schal. «
» Ich erinnere mich. Wusste er sonst noch Neues über den Mann zu berichten? Nun komm schon, Sebastian, lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen. «
» Unser Gottfried soll blond sein. Laut meinem alten Freund hat er die Haare halblang und in der Mitte gescheitelt getragen. Ihm zufolge ist Gottfried seit dem vergangenen Herbst nicht mehr aufgetaucht. «
Anna starrte auf eine Bauernrose in der Größe eines Kindskopfes, deren Blätter sich im sanften Wind neigten.
» Ist was, Anna? «
Sie wischte sich übers Gesicht. » Ich war nur in Gedanken, entschuldige. «
Sebastian musterte seine Schwester. Sie schien selbst Lenchens Geplapper kaum wahrzunehmen. » Laut Caspar ist dieser Gottfried möglicherweise nach Straubing gezogen. Dort hat wohl ein Mädchen gelebt, mit dem er ein neues Leben beginnen wollte. «
» Straubing? Die Stadt liegt doch südlich von Regensburg. Das sind bestimmt drei Tagesreisen von Nürnberg aus « , überlegte Anna halblaut. » Da wird Tassilo gewiss enttäuscht sein. «
» Wahrscheinlich. «
Sie reichte ihm den Becher, und er leerte ihn in einem Zug.
» Andererseits stimmt es ihn sicher froh, dass seinem Freund nichts Schlimmes widerfahren ist « , fuhr er fort. » Wie ich hörte, kommt es gar nicht so selten vor, dass Bettler einfach verschwinden. «
» Nicht nur Bettler, auch Männer wie Korbinian. Und manche kommen nie mehr heim. «
In Annas Augen schwammen Tränen, als er sie in die Arme schloss und auf die feuchte Wange küsste, weil ihm kein besserer Trost einfiel. Den Rest des Tages brachten sie recht schweigsam zu, denn Anna wollte ihn mit ihren Gedanken und Gefühlen nicht belasten. Was half es auch, wenn selbst ihre eigenen Versuche scheiterten, die Erinnerung an Korbinian nur für ein paar Stunden zu vertreiben?
Auch im Laufe des nächsten Vormittags gelang es ihr nicht, ihre Gedanken zusammenzuhalten, während sie mit Marianne in der Küche arbeitete. Nachdenklich schnitt sie Zwiebeln in Streifen, und der scharfe Geruch reizte ihre Augen. Das Gespräch mit Sebastian hatte etwas in ihr zum Klingen gebracht. Anna zuckte zusammen, als sie sich
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