Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
hierzubleiben? «
So aufgebracht hatte sie ihn noch nie erlebt, aber Anna reckte das Kinn. » Nein, hast du nicht « , konnte sie gerade noch erwidern, dann versagte ihr die Stimme. Sie schlang die Arme um seinen Hals und vergrub das Gesicht in seiner Halsbeuge.
Endlich, dachte sie, endlich hat die Bedrohung ein Ende. Es war ihr, als fiele eine zentnerschwere Last von ihrem Herzen. Ein letztes Mal warf sie einen Blick zurück. Der Prophet lag – gleich einer Marionette ohne eine Hand, die sie führte – in seinem Blut, die starren Augen gen Himmel gerichtet, als würde er selbst im Tod noch Gott ins Antlitz sehen wollen. Sie wandte sich erst ihrem Mann und dann Sebastian zu, der das Geschehen mit vor Entsetzen geweiteten Augen verfolgt hatte. Korbinians kantiges Gesicht mit den wirren Haaren und daneben das ihres Bruders mit dem zarten Flaum am Kinn.
Wärme durchflutete sie, als sie die Hände der beiden Männer ergriff. » Lasst uns nach Hause zurückkehren. Dort gibt es Menschen, die auf uns warten. «
» Was machen wir mit dem Hund? « , wollte Freisler wissen.
Korbinian seufzte. » Wir werden ihn wohl oder übel mitnehmen müssen. Als Wachhund hat er sich ja durchaus bewährt. «
» Es gibt hier noch etwas Dringendes zu erledigen « , gab Sebastian zu bedenken. » Die Mistkerle haben im Stall zwei Leichen versteckt, den Besitzer dieses Gehöfts und seinen Bruder. Unsere beiden feinen Herren hier haben sie auf dem Gewissen. Die Toten müssen noch begraben werden. «
Korbinian, Sebastian, Tilmann und Freisler gingen hinein. Kurz darauf trugen sie zwei Säcke heraus und legten sie vor Pankratius’ Männern ab. Anna schauderte, und auch Georg Schlenk und der Fuhrmann der Dürers pressten die Hand auf den Mund, denn der Gestank, der den Säcken entströmte, war ekelerregend.
Korbinian schritt auf die Verbrecher zu und wies auf zwei Schaufeln an der Stallmauer. » Begrabt Eure Opfer « , befahl er Kärner und Bratler, » und beeilt Euch, damit wir diesen verdammten Ort endlich verlassen können. « Er nahm ihnen die Knebel aus dem Mund und band sie los.
» Wo ist Elia? « , schrie Bratler heiser. » Was habt Ihr mit ihm gemacht? «
» Euer verehrter Elia ist tot! Der Feigling hat sich selbst gerichtet « , erwiderte Korbinian ruhig.
» Ich glaube Euch kein Wort! « Kärners Miene spiegelte blankes Entsetzen wider.
Sebastian stellte sich an Korbinians Seite. » Das müsst Ihr auch nicht. Wenn Ihr Eure Opfer begraben habt, könnt Ihr euch gern mit eigenen Augen davon überzeugen. Bis dahin haltet den Mund und tut, was Euch befohlen wurde! «
Die Mörder starrten Sebastian sprachlos an und machten sich ohne weiteren Protest an die Arbeit. Nur Kärners Lippen entwich ein Fluch, als die Schaufeln mehrmals auf faustgroße Steine stießen, die sie herausheben mussten. Eine Stunde später waren die Toten von einer Schicht Erdreich bedeckt und die Kerle wieder gefesselt.
» Eins noch « , Sebastian stieß Kärner einen Finger an die Brust. » Was ist aus den beiden Männern geworden, die meinen Freund und mich entführt haben? Habt Ihr sie ebenfalls umgebracht? «
Der Gefragte schüttelte den Kopf. » Am Tag, nachdem sie Euch abgeliefert haben, schickte Elia sie ins nächste Dorf. Sie sollten etwas zu essen und einen Schlauch Wasser kaufen, aber sie kamen nie zurück. «
» Sollen wir Euch das wirklich glauben? «
» Warum sollte ich Euch belügen? Wir werden sowieso sterben « , gab der Mann mit finsterer Miene zurück.
Das werdet ihr, dachte Anna, spuckte vor den Verbrechern aus und wandte sich ab. Wie viel Leid hatten die Männer der Bruderschaft über sie und all jene gebracht, die sie liebte. Mitgefühl konnte sie nun wahrlich nicht für die beiden empfinden.
EPILOG
Seit Tagen fegten heftige Herbststürme über das Land, und es dauerte sicher nicht mehr lange, bis der erste Schnee fiel. Nur wenn die Dürerin Anna darum bat, weil besonders viel Arbeit anlag, ging sie der Köchin weiterhin zur Hand. Auch an diesem Tag konnte Marianne ihre tatkräftige Hilfe gebrauchen. Agnes Dürer hatte für den Abend einige Frauen von Geschäftspartnern ihres Gatten zu einem kleinen Festessen eingeladen, bevor am folgenden Tag die vierzigtägige Fastenzeit begann.
Anna stellte eine Schale mit frischem Obst auf den Stubentisch, an dem ihr Mann und Albrecht Dürer saßen. Der Hausherr begrüßte sie freundlich.
» Seid Ihr zufrieden mit Eurem neuen Schüler? « , fragte sie.
» Oh ja, er ist mein bester Schüler,
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