Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
Gegenüber an und versuchte seiner Stimme einen entschlossenen Klang zu geben. » Gut, ich bin dabei. «
» Es soll dein Schaden nicht sein, Stäubling « , erwiderte Caspar. » Gleich werden die Stadttore geöffnet, dann gehen wir hinein. Heute ist Markttag, da geb ich dir deine erste Unterrichtsstunde in der hohen Kunst der Dieberei. «
Rüdiger wurde allmählich redseliger. So hatte Anna in Erfahrung bringen können, dass das Tor zwar nicht bewacht, aber stets verschlossen war. Schwester Verena, eine der älteren Dominikanerinnen, besaß neben der Mutter Oberin den Schlüssel. An ihn zu gelangen, war nahezu unmöglich, da sie ihn stets am Gürtel trug.
Anna lag auf dem Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Schwester Verena gehörte zu jenen Nonnen, die ihr zutiefst unangenehm waren. Ständig zog sie ein mürrisches Gesicht, was ihr bei den Novizinnen den Spitznamen eines Stallhundes einbrachte, der Mäuse und Ratten jagte: Rattler. Anna hatte sich ein Kichern kaum verbeißen können, als eines der anderen jungen Mädchen ihr dies in einem unbeobachteten Moment zugeflüstert hatte. Nur wie sollte sie an den Schlüssel gelangen?
Am folgenden Tag saß der Stallbursche vor dem Stall auf einem Hocker und machte sich an einem Karren zu schaffen. Als er sie bemerkte, freute er sich sichtlich. » Gott mit Euch. Ihr habt mich länger nicht besucht. «
Sie wies auf den Karren, über den sich Rüdiger nun wieder kopfschüttelnd beugte. » Was macht Ihr da? «
Er fluchte und hob den Kopf. » Ich begutachte das alte Gefährt. Soll es wieder flottmachen. Kleinere Reparaturen mach ich immer selbst. Aber wie ich das hier bewerkstelligen soll, ist mir ein Rätsel. «
Anna, die im Schutz der Stalltür stehen geblieben war, betrachtete den Karren mit gekräuselter Stirn und strich dabei über die weichen Nüstern der Stute. » Das glaube ich gern. Wozu wird er denn gebraucht? «
Rüdiger machte eine wegwerfende Handbewegung. » Für das Bier, es muss bald ausgeliefert werden. « Mit einiger Mühe quälte sich der beleibte Mann von dem Hocker und reckte sich.
» Bis wann soll er denn fertig sein? « , fragte Anna, ohne den Blick von dem klapperigen Gefährt zu wenden.
»Spätestens Ende nächster Woche. Ein Radmacher will bis dahin neue Räder liefern, und der Wagner wird in den nächsten Tagen erwartet.«
In Annas Kopf begann es auf einmal zu summen wie in einem Bienenstock. Sie wartete einen günstigen Moment ab, und als niemand im Klosterhof zu entdecken war, verabschiedete sie sich hastig, um sich auf den Weg zurück in die Küche zu machen.
An diesem Abend wurde Anna früher auf die Kammer geschickt und erst zur Abendandacht in der Kapelle zurückerwartet. Eine gleichmütige Miene aufzusetzen, hatte sie während des Nachmittags viel Kraft gekostet. Sie konnte nur hoffen, dass die beiden Schwestern nicht bemerkt hatten, wie schwer es ihr fiel, ihr aufgewühltes Inneres zu verbergen. Vielleicht konnte sie sich zumindest so lange auf dem Wagen verstecken, bis sie sich außerhalb der klösterlichen Anlage befand. Den Rest musste sie dann eben zu Fuß zurücklegen.
Anna öffnete die Kammertür und schloss sie rasch hinter sich. Mit zunehmender Verzweiflung blickte sie sich um. Der Raum war zu klein, um mehr als fünf Schritte umherzugehen. Die Luft trug stets einen leichten Modergeruch mit sich, und der sterbende Heiland auf dem hölzernen Kruzifix über ihrer Schlafstatt schien vorwurfsvoll auf sie herunterzuschauen. Sie trat ans Fenster und öffnete es weit. Der Wind blies an diesem Tag mit schneidender Kälte, ließ die kahlen Äste der Obstbäume im Klostergarten tanzen. Bedauerlicherweise konnte sie sich nur bruchstückhaft an die Reise nach Regensburg erinnern, zu unglücklich war sie damals gewesen, um sich die Umgebung einzuprägen. Nur eins wusste sie mit Sicherheit: Zwischen dem Anwesen der Dominikanerinnen und der nächsten Ortschaft lagen viele Meilen weites Land, zumeist Getreidefelder, nur von Knicks und Gestrüpp unterbrochen.
Wo hatte bloß dieser Bach gelegen, der ihr im Gedächtnis geblieben war? Anna grübelte. Konnte es auf halber Wegstrecke gewesen sein? Ihre Flucht musste am helllichten Tag geschehen. Mehr als ein Augenpaar würde verfolgen, wie der Händler das Tor des Klosters passierte. Eine falsche Bewegung oder ein unbedachtes Geräusch genügte, und sie würde entdeckt. Ende nächster Woche wurde der alte Karren gebraucht, hatte Rüdiger gesagt. Gut, bis dahin blieb ihr noch etwas
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