Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
hilflos. Er riss sich von Sepp los und drängte an der Traube von Neugierigen vorbei, die den Platz bevölkerten. Sepp hatte sichtlich Mühe, ihm zu folgen, und fluchte. Schließlich bekam er ihn nur wenige Klafter vom Ausgang entfernt am Arm zu fassen.
» Verdammt, bleib endlich stehen und beruhige dich! Ich weiß wirklich nicht, warum du dich so aufregst. «
Sebastian wirbelte herum. » Ach, du weißt es nicht? « Er maß den Freund von oben bis unten. » Ist das eure Art, mit anderen Menschen umzugehen? Sie zu verprügeln, obwohl sie längst hilflos am Boden liegen? «
Sepp bedachte ihn mit einer Miene, die Sebastian an die seines Vaters erinnerte, wenn er als kleiner Junge etwas ausgefressen hatte.
» Der Kerl ist ein Dieb, Sebastian. Schon vergessen? «
» Mag sein. Aber ist es an euch, zu richten? « , fragte er lahm zurück.
Natürlich hatte Caspar dem Gerber den Beutel vom Gürtel schneiden wollen. Auf frischer Tat ertappt zu werden, damit musste jeder Dieb rechnen. Er schwieg, wandte sich ruckartig ab und folgte mit weit ausholenden Schritten dem Verlauf der Straße, die ihn zu Sepps Elternhaus führte. Alles in ihm war in Aufruhr. Die unvermittelte Begegnung mit Caspar ließ die mühsam zurückgedrängten Bilder jener dunklen Tage bei den Bettlern und Dieben Nürnbergs wieder lebendig werden.
Sepp beschleunigte seinen Schritt, bis er Sebastian eingeholt hatte, und rieb sich das Kinn. » Was kümmert dich dieser Kerl, Sebastian? Abschaum muss wie Abschaum behandelt werden, meinst du nicht? Überhaupt … « Sein Blick wurde eindringlich. » … wenn ich’s recht bedenke, führst du dich auf wie … «
Sebastian blieb stehen. » Sprich dich nur aus, Sepp! Wie was führe ich mich auf? « , sprudelte es aus ihm heraus, obwohl ihm das Herz bis zum Halse schlug. » Wie jemand, der seine Meinung vertritt? Mag sein, aber genau das werde ich nicht ändern. Ob es dir passt oder nicht. «
» Ist ja gut « , lenkte der Freund ein und schlug ihm auf die Schulter. » Lass uns heimgehen. «
Sebastian folgte ihm mit aufeinandergepressten Lippen.
» Was wird jetzt mit dem Mann geschehen? « , fragte er nach einer Weile zögernd, als Sepps Elternhaus schon in ihr Sichtfeld geriet.
» Na, was schon? Wenn er Wendel bestohlen hätte, würde der ihn den Bütteln übergeben, damit der Mistkerl seine Strafe bekäme. Was willst du überhaupt? Mit den paar Schlägen ist er doch gut davongekommen! Denk nicht länger darüber nach. «
Sebastian bedachte Sepp mit einem schrägen Seitenblick. Was würden der Freund und seine Eltern wohl denken, wenn sie wüssten, dass er selbst vor nicht allzu langer Zeit noch ein Beutelschneider war?
KAPITEL 18
K orbinian bestand auf einer ordentlichen Hochzeit.
»Schau, meine Kunden erwarten das von mir. Außerdem erregen wir sonst nur unnötig Aufmerksamkeit.«
In den nächsten Tagen unterwies ein Mitglied des Inneren Nürnberger Rates, das seinen eigenen Schreiber mitbrachte, Korbinian und Anna in der Einhaltung der gängigen Vorschriften.
Die Heirat fand an einem sonnigen Junitag statt. Außer einigen Freunden lud Dietl seine besten Kunden ein, denn auch Korbinian hatte keine Verwandten, die seinen Ehewillen als Zeugen per Handschlag bestätigen konnten. Das Haus erstrahlte in festlichem Glanz, und es duftete nach gutem Essen und gewürztem Wein.
Anna sah sich im Wohnraum ihres Bräutigams um. Die meisten der Anwesenden waren ihr inzwischen von Besuchen in der Werkstatt bekannt. Besonders Konrad Mutz, der Besitzer einer kleinen Holzschnitzerei und ein alter Bekannter von Korbinian, war in den letzten Wochen öfter bei ihnen zu Gast gewesen. Sie mochte den Mann mit dem Schmerbauch nicht sonderlich. Just als sie die Blicke der Männer auf sich gerichtet fühlte und ihr Herz so laut wie Trommelschläge pochte, erhob sich Dietl von seinem Stuhl und kam ihr entgegen.
» Wie hübsch du aussiehst « , murmelte er, drückte ihre Hand und hakte sich bei ihr unter. » Keine Sorge « , raunte er, dann blieben sie bei den fünf Männern stehen, die ihnen mit unverhohlener Neugierde entgegensahen.
» Meine Herren, darf ich Euch meine Braut vorstellen? « Sein Lächeln wirkte offen. » Dies ist Anna, die zukünftige Herrin dieses Hauses. «
Bildete sie es sich nur ein, oder herrschte für einige Atemzüge angespannte Stille? Anna zwang sich, den Männern, allesamt in ihre besten Kleider gehüllt, einen nach dem anderen in die Augen zu blicken. » Gott zum Gruße « , brachte sie mit rauer
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