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Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)

Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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stets leicht nachdenklich wirkende Gesichtsausdruck waren ihr vertraut und gaben ihr ein Gefühl von Sicherheit. Gedankenverloren tastete sie mit dem Daumen nach ihrem Trauring. Die beiden Ringe aus Silber waren gewiss nicht billig gewesen, aber Korbinian hatte darauf bestanden. » So wie diese Ringe keinen Anfang und kein Ende haben, so soll es mit meiner Liebe zu dir sein « , waren seine Worte gewesen, als er ihr die Ringe zeigte, die er bei einem Schmuckhändler in der Lorenzstadt gekauft hatte. Sie konnte sich glücklich schätzen, einen so ehrenhaften Gemahl bekommen zu haben. Von nun an begann ein neues, ein zufriedeneres und ehrlicheres Leben, in dem Martin kein Platz mehr zustand. Wenn ich erst Sebastian gefunden habe, dachte Anna, werden wir alle in diesem Haus glücklich werden. Die Vorstellung ließ ihre aufgewühlten Sinne allmählich zur Ruhe kommen und hüllte sie bald in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

KAPITEL 19
    N och eine Woche bis Mariä Himmelfahrt. Bald würden sich die Blätter an den Bäumen verfärben und der Herbst würde den Sommer ablösen. Von Sebastian gab es trotz anhaltender Suche noch immer kein Lebenszeichen. Anna hatte inzwischen sämtliche Marktplätze der Stadt aufgesucht. Nachdem dies keinen Erfolg zeigte, nahm sie sich die Stadttore vor, aber niemand konnte sich an einen Mann seines Aussehens erinnern. Einem Impuls folgend hatte sie daraufhin nach weiteren Beinschnitzern in der Stadt Ausschau gehalten. Tatsächlich gab es noch zwei Meister dieser Zunft, die allerdings seit Jahren keine Lehrlinge mehr einstellten. Annas Verzweiflung wuchs, deshalb bot sich Korbinian eines Tages an, Sebastian als vermisst zu melden. Anna wehrte entsetzt ab, denn ihre Furcht, dass der Stadtrat ihren Mädchennamen und somit von ihrer Flucht aus dem Kloster erfahren würde, erschien ihr zu groß.
    » Sorge dich nicht, Anna « , sprach Korbinian beruhigend auf sie ein. » Ich werde ihnen erzählen, dass dein Bruder und ich gute Freunde sind und er nicht aufzufinden ist. Dein Name wird nicht fallen. «
    Damit erklärte sie sich schließlich einverstanden. Doch leider kehrte der Buchmaler unverrichteter Dinge heim. Der Schwarze Tod hatte unzählige Familien auseinandergerissen, es gab noch immer viele Menschen, die vermisst wurden. Korbinian sollte, wenn Sebastian bis dahin nicht aufgetaucht war, in einem Monat wiederkommen.
    In den Nächten lag Anna oft wach. Sebastian musste etwas zugestoßen sein, das war die einzig mögliche Erklärung. Bilder aus der Vergangenheit zogen an ihrem inneren Auge vorbei. Verkrüppelte oder entstellte Gliedmaßen, vernarbte und ausgezehrte Gesichter. Trauernde, die sich über die Leichname ihrer Familienmitglieder beugten. Vater und Mutter. Xaver, mit nur sechs Jahren von dieser Welt gegangen. Der Gestank der eitrigen Pestbeulen und der fiepende Laut, wenn der letzte Lebenshauch aus den zerstörten Lungen gepresst wurde. Menschen, die wie Gespenster umherschlichen, mit Augen, die zu viel Leid gesehen und ihren Glanz verloren hatten. Wer wusste schon, ob sich die Pestilenz nicht bereits neue Opfer suchte? Lass Sebastian nicht unter ihnen sein, hörte sie sich nach vielen Wochen, während denen sie mit Gott gehadert hatte, zum ersten Mal wieder beten.
    Früh an einem Morgen weckte sie eine Berührung, zart wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, auf ihrer Wange. Sie öffnete die Lider und begegnete dem liebevollen Blick ihres Ehemannes.
    » Guten Morgen « , murmelte sie ebenso verschlafen wie verlegen und konnte sich des Gefühls nicht erwehren, er habe ihren halb entblößten Körper schon länger auf diese Weise gemustert.
    Korbinian erwiderte ihren Gruß mit einem Kuss auf ihre Nasenspitze und schloss sie in die Arme. Sanft machte sie sich von ihm frei, warf die Decke beiseite und schwang die Beine aus dem Bett.
    » Bleib noch ein wenig liegen, ich mache uns ein gutes Frühstück und sehe nach der Kleinen. «
    » Schade, ich hatte gehofft … « , kam es leise von der Schlafstatt, aber sie tat, als hätte sie es nicht gehört, und verließ die Kammer.
    Nachdem sie sich angekleidet und die Haare gebürstet hatte, lauschte sie an der Tür der Schlafkammer, in der das Kind seit Kurzem schlief. Dahinter war noch kein Geräusch zu hören. Anna stieg die Treppe ins Erdgeschoss hinab. In der Küche trat sie an das mit Butzenscheiben verglaste Fenster, öffnete es und blickte zum Himmel. Trist und wolkenverhangen war er an diesem Morgen. Nur eine Reihe Vögel, die sich

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