Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
Stimme hervor.
Ein älterer Herr mit kurz geschnittenem Bart und ungewöhnlich langen, über die Schultern fallenden welligen Haaren trat auf sie zu und ergriff ihre Hände, ohne auf die gerunzelte Stirn des Mannes neben ihm zu achten. Seine Schecke war kostbar verziert und passte vortrefflich zu der eng anliegenden Hose. Als er näher trat, fiel ihr seine fahle Hautfarbe auf, obendrein wirkte sein Gesicht eingefallen.
» Wie ich sehe, hat Meister Dietl eine gute Wahl getroffen. « Er zwinkerte ihr zu. » Dürer ist mein Name. Albrecht Dürer. Ich freue mich, Eure Bekanntschaft machen zu dürfen. «
Anna hielt die Luft an. Korbinian verkehrte mit dem berühmtesten Sohn der Stadt, wie die Nürnberger Dürer stolz nannten? Sie wollte das Haupt senken, doch der Meistermaler hielt sie zurück.
» Nicht nötig, meine Liebe. Wir wollen uns ein wenig unterhalten. «
Die vier Herren hinter ihm warfen sich vielsagende Blicke zu. Anna registrierte, wie viel Vergnügen dem Maler das erstaunte Gemurmel der anderen Gäste bereitete.
» Kommt, Anna. «
Er zog sie ein paar Schritte weiter. Sein Gang war leicht schleppend, und als er sah, dass sie es bemerkt hatte, fügte er hinzu: » Vor einiger Zeit habe ich eine Reise antreten müssen, ich hatte mit Seiner Majestät dem Kaiser dringende Angelegenheiten zu besprechen. Bald darauf wurde ich krank, und in meinem Alter dauert es ein wenig, bis die Kraft in die müden Knochen zurückkehrt. Ich habe mich immer noch nicht von den Strapazen erholt. «
» Dann wünsche ich Euch eine rasche Genesung. «
Der Meister erwiderte ihr Lächeln. » Ich habe schon von Eurem Fleiß gehört. Korbinian ist ja sehr angetan von Euch, lange habe ich ihn nicht mehr so ausgeglichen erlebt wie in der letzten Zeit. «
Sie schaute zu Boden und presste die Lippen aufeinander. » Er ist ein guter Mann. «
» So ist’s recht, Anna. « Er hob ihr Kinn an. » Nur Mut. Zeigt es den Lästermäulern. Ihr seht mir nicht aus wie eins dieser Weiber, die sich von dem derben Witz ungehobelter Männer einschüchtern lassen. «
Ihre Mundwinkel hoben sich unwillkürlich. » Gewiss nicht, Herr Dürer. Wenn Ihr mich jetzt bitte entschuldigen würdet? Ich … ich muss mich um Magdalena kümmern. «
» Nur zu, Anna. Danach lasst uns zur Lautmerung schreiten, damit Ihr vor Zeugen bekundet, ab dem heutigen Tage miteinander verbunden zu sein. «
Sie schluckte den faden Beigeschmack in ihrem Mund herunter und wandte sich ab, um nach dem Kind zu sehen, dessen Stimme inzwischen recht fordernd klang. Auf einem der Tische stapelten sich die Geschenke der Gäste. Ein fetter Schinken lag neben einem Zinnbecher und einem Ballen Stoff, ebenso ein Fässchen guten Weines und ein Korb voller Früchte.
Die Trauungszeremonie fand am Brautportal von St. Sebald statt.
Korbinian schenkte ihr ein Lächeln, als er ihr den schmalen Silberring ansteckte, der ihre Ehe besiegeln sollte. Anna nahm alles wie durch Nebel wahr, sie fühlte sich wie in einem Traum gefangen, allerdings würde sie aus diesem hier nicht erwachen. Das Brautgewand aus feinem grünem Leinen raschelte leise, während sie Korbinian den Ring überstreifte. Obwohl sie die Stimme des Pfarrers kaum wahrnahm, sprach sie ohne Zögern und mit fester Stimme die geforderten Worte nach. Nur sie selbst wusste, welche Anstrengung es sie kostete, den Schwur zu wiederholen, der sie bis ans Lebensende an Korbinian band. Doch es ging vorbei, und sie spürte, wie die Farbe in ihr Gesicht zurückkehrte.
Anna ließ ihren Blick über die wenigen Menschen gleiten, die ihre Eheschließung begleiteten. Wäre wenigstens Sebastians vertrautes Gesicht unter ihnen. Täglich war sie durch die Gassen Nürnbergs gestreift und hatte mit der Hilfe ihres Bräutigams sogar alle Spitäler in der näheren Umgebung aufgesucht, um sich nach ihm zu erkundigen. Aber dort kannte niemand einen jungen Mann seines Namens. Sie blickte zu ihrem Ehemann auf. Auch Korbinians Miene zeigte die unterschiedlichsten Gefühle. Trauer ebenso wie Hoffnung spiegelte sich in seinen Augen wider.
Eine Nachbarin hatte sich angeboten, die Braut am Abend auszukleiden und zu waschen. Annas Hände zitterten ein wenig, während sie der alten, von der Arbeit gebeugten Frau behilflich war und die Bänder ihres Gewandes löste. Kurz darauf stand sie nackt vor ihr und wusste nicht, wie sie ihre Finger beschäftigen sollte. Die Frau machte sich derweil in aller Seelenruhe an ihren Haaren zu schaffen.
» Halt einfach nur still, wenn
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