Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
auf dem Dach des gegenüberstehenden Hauses versammelt hatten, begrüßte fröhlich den neuen Tag, und Anna konnte der Versuchung nicht widerstehen, den gefiederten Sängern einige Momente lang zu lauschen.
Sie ahnte sehr wohl, wonach es Korbinian gelüstete, und wenn sie es recht betrachtete, war er ihr gegenüber wirklich geduldig. Nicht, dass seine Berührungen ihr zuwider waren, im Gegenteil, er behandelte sie voller Zärtlichkeit. Doch all seine Bemühungen und Liebkosungen ließen sie tief in ihrem Inneren ohne Empfindungen zurück, weshalb sie sich Korbinian immer öfter entzog. Anna seufzte. Vermutlich bin ich für diese Art der Liebe einfach noch nicht bereit, dachte sie und schloss das Fenster. Wenn sie an ihre Jugendzeit zurückdachte, wie oft hatte sie Nachbarinnen und Spielgefährten über derlei Dinge flüstern und kichern hören, als wäre es etwas Besonderes, mit einem Mann das Bett zu teilen. Selbst in diesen Tagen noch konnte sie nicht verstehen, was andere Frauen an dem Akt fanden, dass sie so aufgeregt waren und offenbar nicht abwarten konnten, es wieder zu tun.
Anna schüttelte den Kopf, trat zum Herd und entzündete mit wenigen geübten Griffen das Feuer. Im Topf war noch etwas Mus vom Vortag, das würde für Korbinian und sie reichen. Während sie mit dem Löffel im Mus rührte, dachte sie daran, wie dumm es wäre, in dieser schrecklichen Zeit, in der die Angst vor der Seuche immer noch allgegenwärtig war, ein Kind zu bekommen. Sie würde mit Korbinian reden müssen, obwohl allein der Gedanke an ein solches Gespräch ihr die Handflächen feucht werden ließ. Energisch drängte sie ihre Grübeleien beiseite, stellte einen Korb mit Brot und eine Schale mit dem erwärmten Mus auf den Tisch und bereitete für Lenchen einen Haferbrei zu.
Für den Nachmittag hatte sie eine Einladung von Agnes Dürer erhalten, und da Korbinian mit einem Porträt, das ein Augsburger Patrizier in Auftrag gegeben hatte, ohnehin alle Hände voll zu tun hatte, freute sie sich auf die willkommene Abwechslung. Außerdem wäre es mehr als unhöflich gewesen, eine Einladung der Frau des berühmten Malers abzulehnen. Anna sah den Mann vor sich, den sie am Tag ihrer Verlobung kennengelernt hatte. Herrn Dürer mit seinem feinen Humor hatte sie sofort gemocht, deshalb war sie umso neugieriger, wie die Frau sein mochte, die mit ihm das Leben teilte. Zumal sie beide mit Künstlern verheiratet waren und wussten, wie es war, wenn der Gatte mal wieder völlig in sich versunken die halbe Nacht in der Werkstatt verbrachte.
Am frühen Nachmittag wickelte sie Lenchen in frische Windeln und Tücher und zog ihr einen einfachen, aber hübsch gefärbten Umhang über, um die Kleine vor dem Regen zu schützen. Danach machte sich Anna selbst sorgfältig zurecht. Das eng anliegende grüne Gewand mit der passenden Kopfbedeckung war Korbinians Hochzeitsgeschenk gewesen. Endlich fand sie eine passende Gelegenheit, es zu tragen. Das halblange Haar band sie zu einem Zopf, steckte es hoch und setzte die Haube auf. Als sie mit der Kleinen die Werkstatt betrat, um sich von ihrem Gemahl zu verabschieden, weiteten sich seine Augen unwillkürlich.
» Du siehst wunderschön aus « , murmelte er und strich ihr über den Arm. » Ich sollte dich häufiger ausführen, damit du dieses Kleid anstelle des alten, einfachen Gewandes tragen kannst. «
Sie lächelte, drehte sich im Kreis und freute sich, als sich der Rock über ihren Hüften bauschte. » Ich hätte nichts dagegen, Korbinian. «
Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn. In seinem lockigen Haar schimmerte es bläulich, und sie zupfte ihm einen kleinen Farbklecks aus einer Strähne hinter dem Ohr. Ihr Lächeln wurde weicher, als er sich verlegen räusperte.
» Weiß auch nicht, wie die Farbe dort hinkommt. «
Anna hingegen wusste es sehr wohl, denn wenn ihr Ehemann in die Arbeit vertieft war, fuhr er sich ständig durch die Locken.
» Bis später, ich bin vor dem Abend zurück. «
» Vergiss nicht, mir alles haarklein zu berichten, Anna. «
Sie setzte sich Lenchen auf die Hüfte, winkte Korbinian noch einmal zu und verließ das Haus.
Ihr Mann hatte ihr den Weg zum Tiergärtnertor, wo Meister Dürer mit seiner Frau Agnes lebte, genau beschrieben. Von der Waaggasse aus, wo Korbinians Werkstatt lag, passierte sie den Grünen Markt und lief weiter. An der Sebalduskirche angekommen, überquerte sie erst den Milch- und dann den Korbmachermarkt und schlug den Weg in die Zisselgasse ein. Von dort aus
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