Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
meine Naturforschungen benötige. «
Anna ließ den Blick durch die Werkstatt schweifen. An den Wänden und auf hölzernen Gestellen lehnten in Öl gemalte Porträts von mindestens zwei Dutzend Männern und Frauen, auf langen Tischen und Regalen lagen Kohle- und Federzeichnungen, die Landschaften oder Ansichten der Nürnberger Burg sowie der Stadt darstellten. Bewunderung erfasste sie beim Studium dieser Zeichnungen. Auf einem der Blätter war das dunkle Antlitz einer Mohrin mit gedankenverlorener Miene zu sehen, ein zweites zeigte vermutlich ihren Gemahl, einen Mann mit dunklen Locken und kurz geschnittenem Bart . Auf anderen waren Pflanzen und Stillleben abgebildet. Ihre besondere Aufmerksamkeit jedoch erregte eine kleine Zeichnung , die zwei wie zum Gebet zusammengelegte Hände zeigte, deren detailgetreue Darstellung Anna staunen ließ. Ihr Blick wanderte weiter zu einer Federzeichnung, auf der sich seltsame behaarte Wesen wie im Tanz bewegten. Eines davon hatte einen langen, gekrümmten Schwanz, der an einen Bischofsstab erinnerte. Das Tier – um ein menschliches Wesen konnte es sich unmöglich handeln – hielt einen Schellenkranz in der linken und eine Rassel in der rechten Hand.
Der Maler trat neben sie. » Ich nenne es ›Affentanz‹ « , erläuterte er. » Die Zeichnung habe ich übrigens erst gestern beendet. «
» Ich glaube nicht, dass Frau Dietl weiß, was Affen sind, Albrecht « , ließ sich Agnes Dürer hinter ihr vernehmen.
Die Frau des Künstlers hatte inzwischen mit Lenchen auf einem Lehnstuhl Platz genommen und spielte mit ihr. Kindersegen war den Dürers bisher versagt geblieben, wusste Anna.
Albrecht Dürer nickte. » Bitte entschuldigt, Frau Dietl, das habe ich nicht bedacht. Unser Herrgott hat schon eine Menge eigenartige Kreaturen erschaffen . Diese sonderbaren Tiere leben am anderen Ende der Welt. Ich habe sie während meiner zweiten Italienreise in einer Menagerie in Venedig gesehen. Genau wie dieses Wesen hier. « Er zog ein anderes Blatt unter dem Stapel hervor. Die Zeichnung stellte ein kräftiges Tier dar, das einen Panzer zu tragen schien. Am Ende des Kopfes saß ein spitzes Horn. » Man nennt es Rhinozeros. «
Annas Blick wanderte zu einem Tisch, auf dem neben mehreren irdenen Gefäßen mit Pinseln und Federn ein Korb mit einem guten Dutzend Muschelschalen stand.
» Meine Palette, wenn ich in der Natur arbeite « , erläuterte der Maler. » Damit die Farben nicht austrocknen, verschließe ich sie mit Eiweiß. «
Eine Weile später saßen die Dürers mit ihrem Besuch in der reich ausgestatteten Kammer an einem schweren Eichentisch und ließen sich den imbiz schmecken. Anna flößte Magdalena etwas warme Ziegenmilch ein. Ihr schwirrte der Kopf von den vielen verwirrenden Eindrücken im Künstlerhaus am Tiergärtnertor, das nicht nur Gemütlichkeit ausstrahlte, sondern auch den erlesenen Geschmack seiner Besitzer bewies. Mit den gediegenen Möbeln und zahlreichen Gegenständen, die von Meister Dürers Kunst- und Sammlerleidenschaft zeugten, hatte der Maler sich ein Heim geschaffen, das sich seiner würdig erwies. Anna warf einen Blick in einen zweiten Raum, dessen Tür weit offen stand.
Frau Dürer schmunzelte. » Dort sitzt mein lieber Mann gerne bis spät in die Nacht mit seinen Freunden beim Bier zusammen und diskutiert über Gott und die Welt. Oft finden die Herren einfach kein Ende, besonders, seit es immer mehr Nachrichten über die Neue Welt gibt, die dieser Spanier Kolumbus entdeckt hat. «
» Euer Haus ist wunderschön und größer als jedes, das ich bisher gesehen habe, Meister Dürer. «
Der Maler hob sein Weinglas und trank ihr zu. » Da wir außer Susanne und einer zweiten Magd auch einige Gehilfen und einen Lehrling beherbergen, benötigen wir viel Platz. Außerdem ist da noch mein ganzer Stolz, die Druckerpresse, mit der ich Kupferstiche und Holzschnitte von meinen Arbeiten anfertigen kann. Ich habe vor einiger Zeit einen neuen Burschen eingestellt, der mir bei den schweren Kupferplatten und Eisenwalzen zur Hand geht. «
Anna hob den Kopf. Es dämmerte bereits, und sie erschrak. » Ist es schon so spät? Ich habe Korbinian versprochen … «
» Mir geht es oft ebenso, wenn ich meinem Mann bei der Arbeit zusehe, nicht wahr, Albrecht? « Der Blick, den sie ihrem Gatten zuwarf, zeugte von Hingabe und Bewunderung. » Anna, ich werde einen unserer Angestellten rufen lassen, damit er Euch nach Hause geleitet. «
Lenchen tastete mit der Hand nach einem Stück
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