Das Lied von Eis und Feuer 04 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 04 - A Clash of Kings (Pages 332-728)
der Ostmauer, hinter dem Geisterturm. Dort ist nie jemand.«
»Ich kenne das Tor. Es wird bewacht, genau wie alle anderen. «
»Und? Du wirst die Schwerter doch nicht vergessen?«
»Ich habe nicht gesagt, dass ich mitkomme.«
»Nein, aber wenn du mitkommst, wirst du doch die Schwerter nicht vergessen, oder?«
Er runzelte die Stirn. »Nein«, sagte er endlich, »ich glaube, nicht.«
Arya schlich auf dem gleichen Weg in den Königsbrandturm zurück, auf dem sie ihn verlassen hatte, stahl sich die Wendeltreppe hinauf und lauschte auf Schritte. In ihrer Kammer zog sie sich aus und danach sorgfältig wieder an: Zwei Schichten Unterwäsche, warme Strümpfe, ihr sauberstes Wams. Es war Lord Boltons Livree. Auf der Brust war sein Wappen aufgenäht, der gehäutete Mann von Grauenstein. Sie band sich die Schuhe zu, warf einen Wollmantel um ihre hageren Schultern und knotete ihn unter dem Kinn zu. Leise wie ein Schatten stieg sie die Treppe wieder hinunter. Vor dem Solar des Lord hielt sie inne, lauschte an der Tür und schob sie sachte auf, als sie nichts hörte.
Die Karte aus Schafshaut lag noch auf dem Tisch, neben den Resten von Lord Boltons Abendessen. Arya rollte sie eng zusammen und steckte sie in ihren Gürtel. Der Lord hatte auch seinen Dolch auf dem Tisch liegen lassen, und den nahm sie ebenfalls, nur für den Fall, dass Gendry der Mut verließ.
Ein Pferd wieherte leise, als sie in den dunklen Stall schlüpfte. Die Burschen schliefen. Sie stieß einen mit dem Fuß an, bis er sich benommen aufrichtete und fragte: »Hö? Was?«
»Lord Bolton braucht drei gesattelte Pferde.«
Der Junge erhob sich und zupfte Stroh aus seinem Haar. »Was, um diese Zeit? Pferde, sagst du?« Blinzelnd betrachtete er das Wappen auf ihrem Wams. »Wofür braucht er denn im Dunkeln Pferde?«
»Lord Bolton ist es nicht gewöhnt, sich von seinen Dienern Fragen stellen zu lassen.« Sie verschränkte die Arme.
Der Stallbursche starrte auf den gehäuteten Mann. Er wusste, was dieser bedeutete. »Drei, sagst du?«
»Eins, zwei, drei. Jagdpferde. Schnell und trittsicher.« Arya
half ihm beim Satteln, damit er keinen der anderen wecken musste. Sie hoffte, er würde hinterher nicht allzu streng bestraft werden, aber sie wusste, dass das unwahrscheinlich war.
Die Pferde durch die Burg zu führen, war der schwierigste Teil. Wann immer es möglich war, hielt sie sich im Schatten der großen Mauer, wo die Wachen auf den Wehrgängen steil nach unten schauen mussten, um sie zu bemerken. Und wenn schon? Ich bin der Mundschenk des Lords. Es war eine kalte Herbstnacht. Wolken trieben aus dem Westen heran und verbargen die Sterne, und der Klageturm schrie bei jedem Windstoß traurig auf. Es riecht nach Regen. Arya wusste nicht, ob das gut oder schlecht für ihre Flucht war.
Niemand sah sie, sie selbst sah auch niemanden, nur eine grauweiße Katze, die an der Mauer des Götterhains entlanglief. Das Tier fauchte sie an und weckte Erinnerungen an den Roten Bergfried und ihren Vater und Syrio Forel. »Ich könnte dich fangen, wenn ich wollte«, sagte sie, »aber ich muss gehen, Katze.« Die Katze fauchte erneut und lief davon.
Der Geisterturm war der verfallenste von Harrenhals fünf riesigen Türmen. Dunkel und verlassen stand er hinter den Ruinen einer eingestürzten Septe, wo seit fast dreihundert Jahren nur mehr Ratten beteten. Dort wartete sie auf Gendry und Heiße Pastete. Es schien, als wartete sie eine lange Zeit. Die Pferde knabberten an dem Unkraut, das zwischen den Steinen wuchs, während die Wolken die letzten Sterne verschluckten. Arya zog den Dolch und wetzte ihn, nur um sich zu beschäftigen. Mit langen, sanften Streichen, wie Syrio es ihr beigebracht hatte. Das leise Scharren beruhigte sie.
Sie hörte sie, lange bevor sie zu sehen waren. Heiße Pastete keuchte, einmal stolperte er in der Dunkelheit, stieß sich das Schienbein an und fluchte laut genug, um halb Harrenhal zu wecken. Gendry war leiser, doch die Schwerter, die er trug, klirrten bei jeder Bewegung. »Hier bin ich.« Sie erhob sich. »Seid leise, sonst wird man euch hören.«
Die Jungen stiegen über die verstreuten Steine. Gendry trug ein geöltes Kettenhemd unter seinem Mantel, und seinen Schmiedehammer hatte er über die Schulter gelegt. Heiße Pastetes rotes Gesicht lugte aus einer Kapuze hervor. In der rechten Hand trug er einen Sack Brot, unter den linken Arm hatte er ein großes Käserad geklemmt. »An dem Seitentor steht eine Wache«, flüsterte Gendry. »Ich habe
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