Das Lied von Eis und Feuer 04 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 04 - A Clash of Kings (Pages 332-728)
Theon nahm langsam die Spannung aus dem Bogen und richtete die Pfeilspitze auf den Boden.
»Ser Rodrik hat sein ganzes Leben dem Hause Stark gedient, und das Haus Stark war stets ein Freund der Nachtwache. Er würde Euch diesen Wunsch nicht versagen. Öffnet die Tore, legt die Waffen nieder, akzeptiert die Bedingungen, und er muss Euch erlauben, das Schwarz anzulegen.«
Ein Bruder der Nachtwache. Keine Krone, keine Söhne, keine Ehefrau … aber er würde leben, und zwar ehrenhaft. Ned Starks eigener Bruder hatte die Nachtwache gewählt, und Jon Schnee ebenfalls.
Schwarze Kleidung habe ich genug, ich brauche nur die Kraken abzureißen. Sogar mein Pferd ist schwarz. In der Nachtwache könnte ich es weit bringen – Oberster Grenzer, vielleicht sogar Lord Kommandant. Soll Asha doch die verdammten Inseln behalten, sie sind genauso öde wie sie selbst. Wenn ich in Ostwacht diene, kann ich vielleicht mein eigenes Schiff befehligen, und jenseits der Mauer kann man wunderbar jagen. Und was die Weiber betrifft, welche Wildlingsfrau würde sich nicht gern mit einem Prinzen einlassen? Langsam breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Ein Mann in Schwarz ist kein Abtrünniger. Ich wäre so gut wie jeder andere Mann …
»PRINZ THEON!« Der Schrei riss ihn aus seinem Tagtraum. Kromm kam über den Hof gelaufen. »Die Nordmänner …«
Plötzlich packte ihn das Entsetzen. »Greifen sie an?«
Maester Luwin ergriff seinen Arm. »Noch ist Zeit. Hisst das Banner des Friedens …«
»Sie kämpfen«, stieß Kromm hervor. »Es sind noch mehr Soldaten eingetroffen, Hunderte, und zuerst sah es aus, als würden sie zu den anderen stoßen. Dann sind sie über die Leute des Kastellans hergefallen.«
»Ist es Asha?« War sie am Ende doch noch gekommen, um ihn zu retten?
Doch Kromm schüttelte den Kopf. »Nein. Es sind Nordmänner, sage ich Euch. Mit einem blutigen Mann als Banner. «
Der gehäutete Mann von Grauenstein. Stinker hatte vor seiner Gefangennahme zum Bastard von Bolton gehört, erinnerte sich Theon. Es war kaum zu glauben, dass ein so abscheulicher Kerl die Boltons dazu bringen konnte, ein Bündnis zu brechen, doch alles andere ergab keinen Sinn. »Das muss ich mir selbst ansehen«, sagte Theon.
Maester Luwin folgte ihm. Als sie auf dem Wehrgang ankamen, war der Marktplatz bereits mit toten Männern und sterbenden Pferden übersät. Theon sah keinerlei Schlachtreihen, nur ein wildes Durcheinander von Bannern und Klingen. Rufe und Schreie hallten durch die kalte Herbstluft herüber. Ser Rodriks Männer waren an Zahl überlegen, die Männer von Grauenstein hingegen wurden besser geführt und hatten die anderen überrascht. Theon beobachtete ihre Angriffe, die kurzen Rückzüge und erneuten Angriffe, mit denen sie die größere Streitmacht jedes Mal aufs Neue auseinandertrieben, wenn diese sich zwischen den Häusern formieren wollte. Er hörte das Krachen, mit dem eiserne Äxte auf Eichenschilde niedergingen, und das schrille Wiehern verstümmelter Pferde. Das Gasthaus brannte.
Der Schwarze Lorren trat schweigend zu ihm. Die Sonne stand tief im Westen und überzog die Felder und Häuser mit glühendem Rot. Ein dünner, zitternder Schmerzensschrei
gellte über die Mauern, und ein Schlachthorn ertönte jenseits der brennenden Häuser. Theon beobachtete einen Verwundeten, der sich unter Schmerzen über den Boden schleppte und sein Herzblut im Dreck vergoss, während er den Brunnen in der Mitte des Marktplatzes zu erreichen suchte. Er starb, bevor er dort ankam. Er trug ein Lederwams und einen kegelförmigen Helm, doch kein Abzeichen, das gezeigt hätte, auf welcher Seite er gekämpft hatte.
Die Krähen erschienen in der blauen Dämmerung mit den ersten Sternen. »Die Dothraki glauben, die Sterne seien die Geister der tapferen Toten«, sagte Theon. Maester Luwin hatte ihm das vor langer Zeit erzählt.
»Dothraki?«
»Die Pferdeleute jenseits der Meerenge.«
»Ach, die.« Der Schwarze Lorren runzelte die Stirn. »Wilde glauben an alles Mögliche.«
Der Rauch breitete sich immer mehr aus, und außerdem wurde es dunkler, sodass es immer schwieriger wurde, das Geschehen unten zu verfolgen, doch schließlich endete das Klirren des Stahls, und die Rufe und Hörner machten Stöhnen und Mitleid erregendem Klagen Platz. Dann tauchte eine Kolonne Berittener aus dem dahintreibenden Rauch auf. An ihrer Spitze befand sich ein Ritter in dunkler Rüstung. Sein runder Helm leuchtete rot, und ein heller, rosafarbener Mantel hing
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