Das Lied von Eis und Feuer 04 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 04 - A Clash of Kings (Pages 332-728)
verziert, grauen Löwen, toten Blumen und geisterhaft bleichen Hirschen. Ihre Rüstungen waren verbeult und geborsten, die Kettenhemden zerrissen. Warum habe ich sie alle getötet? Irgendwann einmal hatte er den Grund gewusst, doch er hatte ihn wieder vergessen.
Er hätte eine der Schweigenden Schwestern fragen können, doch als er sprechen wollte, stellte er fest, dass er keinen Mund hatte. Glatte, nahtlose Haut bedeckte seine Zähne. Diese Entdeckung erschreckte ihn zutiefst. Wie sollte er ohne Mund weiterleben? Er begann zu rennen. Die Stadt war nicht weit entfernt. Innerhalb der Mauern wäre er in Sicherheit, weit fort von diesen Toten. Er gehörte nicht zu den Toten. Wenn er auch keinen Mund hatte, so war er doch noch
ein lebendiger Mann. Nein, ein Löwe, ein Löwe, und am Leben. Dann erreichte er die Mauer, doch die Tore waren ihm verschlossen.
Es war dunkel, als er erneut erwachte. Zuerst konnte er nichts sehen, bis er die vagen Umrisse eines Bettes um sich herum wahrnahm. Die Vorhänge waren zugezogen, trotzdem konnte er die Form der Bettpfosten erkennen, und über sich den samtenen Himmel. Unter sich spürte er eine weiche Federmatratze, und das Kissen unter seinem Kopf war mit Gänsedaunen gefüllt. Mein eigenes Bett, ich liege in meinem eigenen Bett, in meinem eigenen Schlafzimmer.
Innerhalb der Vorhänge, unter dem großen Haufen von Fellen und Decken war es warm. Er schwitzte. Fieber, dachte er benommen. Er fühlte sich schwach, und ein stechender Schmerz durchfuhr ihn, als er versuchte, die Hand zu heben. Er ließ es bleiben. Sein Kopf fühlte sich riesig an, so groß wie das Bett, zu schwer, um ihn vom Kissen zu heben. Seinen Körper konnte er kaum spüren. Wie bin ich hierhergekommen? Er versuchte, sich zu erinnern. Die Schlacht tauchte in einzelnen Bildern vor seinem inneren Auge auf. Die Gefechte am Fluss, der Ritter, der ihm den Handschuh angeboten hatte, die Brücke aus Schiffen …
Ser Mandon. Er sah die toten leeren Augen, die ausgestreckte Hand, das grüne Feuer, das auf der weiß emaillierten Rüstung leuchtete. Furcht überkam ihn in einer kalten Woge; er spürte, wie sich unter den Decken seine Blase entleerte. Hätte er nur einen Mund gehabt, dann hätte er wenigstens schreien können. Nein, das war im Traum, dachte er mit pochendem Schädel. Hilfe, so helft mir doch. Jaime, Shae, Mutter, irgendwer … Tysha …
Niemand hörte ihn. Niemand kam. Allein in der Dunkelheit versank er wieder in Schlaf und in Gestank nach Pisse. Er träumte, seine Schwester stehe an seinem Bett und auch sein Hoher Vater, der die Stirn runzelte. Das musste ein Traum sein, denn schließlich war Lord Tywin viele Meilen
weit entfernt und kämpfte im Westen gegen Robb Stark. Andere kamen und gingen ebenso. Varys betrachtete ihn und seufzte, doch Kleinfinger machte einen Scherz. Du verfluchter, verräterischer Bastard, dachte Tyrion böse, wir haben dich nach Bitterbrück geschickt, und du bist nicht zurückgekehrt. Manchmal hörte er, wie sie miteinander redeten, die Worte verstand er allerdings nicht. Ihre Stimmen summten in seinen Ohren wie Wespen und wurden wie von dickem Filz gedämpft.
Er wollte fragen, ob sie die Schlacht gewonnen hätten. Das müssen wir wohl, sonst würde mein Kopf auf irgendeinem Spieß stecken. Wenn ich lebe, haben wir gesiegt. Er wusste nicht, was ihm mehr gefiel: der Sieg oder die Tatsache, dass er allein darauf gekommen war. Sein Verstand kehrte zurück, wenn auch langsam. Das war gut. Sein Verstand war alles, was er besaß.
Als er das nächste Mal erwachte, hatte man die Vorhänge zurückgezogen, und Podrick Payn stand mit einer Kerze vor ihm. Er sah, wie Tyrion die Augen aufschlug, und rannte davon. Nein, geh nicht weg, hilf mir, hilf mir, wollte er rufen, brachte jedoch nur ein leises Stöhnen hervor. Ich habe keinen Mund. Er griff sich unter Schmerzen ins Gesicht. Seine Finger fanden steifes Tuch, wo eigentlich Fleisch, Lippen und Zähne hätten sein sollen. Leinen . Die untere Hälfte seines Gesichts war fest verbunden, eine Maske aus hartem Gips mit Löchern zum Atmen und Essen.
Kurz darauf kam Pod zurück. Diesmal begleitete ihn ein Fremder, ein Maester mit Kette und Robe. »Mylord, Ihr müsst still liegen«, murmelte der Mann. »Ihr seid schwer verletzt. Seid Ihr durstig?«
Zur Antwort gelang ihm ein unbeholfenes Nicken. Der Maester schob einen geschwungenen Kupfertrichter durch das Loch über seinem Mund und schüttete vorsichtig etwas in seine Kehle. Tyrion schluckte,
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