Das Lied von Eis und Feuer 04 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 04 - A Clash of Kings (Pages 332-728)
den Drachenritter gekämpft hatte. Auf ihren Steinthronen saßen sie, mit Steinwölfen zu ihren Füßen. Hierher kamen sie, wenn alle Wärme ihre Leiber verlassen hatte; dies war die dunkle Halle der Toten, welche die Lebenden nur mit Furcht betraten.
Und im Eingang der leeren Grabnische, die auf Lord Eddard Stark wartete, hockten die sechs Flüchtlinge unter der majestätischen Granitstatue, um ihren kleinen Vorrat aus Brot und Wasser und getrocknetem Fleisch herum. »Kaum noch etwas übrig«, murmelte Osha, während sie die Vorräte durchging. »Ich muss sowieso bald nach oben gehen und etwas zu essen stehlen, sonst müssen wir noch Hodor auffressen. «
»Hodor«, sagte Hodor und grinste sie an.
»Ist es draußen Tag oder Nacht?«, fragte sich Osha. »Ich habe alles Zeitgefühl verloren.«
»Tag«, sagte Bran, »aber es ist ganz dunkel vom Rauch.«
»Ist Mylord sicher?«
Er bewegte seinen zerschmetterten Körper nicht und streckte doch die Hand aus, und einen Augenblick lang sah er doppelt. Dort stand Osha mit der Fackel, und Meera und Jojen und Hodor und die doppelte Reihe hoher Granitsäulen und die längst toten Lords dahinter in der Dunkelheit … doch dort war auch Winterfell, grau und von Rauch eingehüllt, die schweren eisenbeschlagenen Eichentore waren verkohlt und auseinandergebrochen, von der Zugbrücke war nur ein Gewirr zerrissener Ketten und fehlender Bretter geblieben. Leichen schwammen im Wassergraben, Inseln für die Raben.
»Sicher«, verkündete er.
Osha brauchte einen Moment, bis sie das verdaut hatte. »Dann werde ich mal einen Blick riskieren. Ihr bleibt aber dicht hinter mir. Meera, hol Brans Korb.«
»Gehen wir nach Hause?«, fragte Rickon aufgeregt. »Ich
will mein Pferd. Und Apfelkuchen und Butter und Honig und Struppi. Gehen wir dorthin, wo Struppel ist?«
»Ja«, versprach Bran, »aber du musst ganz leise sein.«
Meera schnallte Hodor den Weidenkorb auf den Rücken, half, Bran hineinzusetzen, und schob seine gelähmten Beine durch die Löcher. Er hatte ein seltsames Gefühl im Bauch. Er wusste, was sie oben erwartete, aber deswegen hatte er nicht weniger Angst. Als sie aufbrachen, drehte er sich um und warf der Statue seines Vaters einen letzten Blick zu, und es erschien Bran, als sähe er Trauer in Lord Eddards Augen, als wollte er nicht, dass sie fortgingen. Wir müssen, dachte er, es ist Zeit.
Osha trug ihren langen Eichenspeer in der einen Hand und die Fackel in der anderen. Ein Schwert ohne Scheide hatte sie sich über den Rücken gehängt, eins der letzten, die Mikkens Zeichen trugen. Er hatte es für Lord Eddards Gruft geschmiedet, um seinen Geist zu beruhigen. Da Mikken jedoch ermordet worden war, und die Eisenmänner die Waffenkammer bewachten, konnten sie gutem Stahl nicht widerstehen, selbst wenn sie ein Grab ausrauben mussten. Meera hatte Lord Rickards Klinge genommen und beschwerte sich nun, sie sei zu schwer. Bran holte sich die Waffe seines Namensvetters, das Schwert des Onkels, den er nie kennengelernt hatte. Er wusste, dass er im Falle eines Kampfes nur von wenig Nutzen sein würde, doch die Klinge fühlte sich trotzdem gut in seiner Hand an.
Dennoch war es nur ein Spiel, und das wusste Bran ebenso.
Ihre Schritte hallten durch die riesige Gruft. Die Schatten hinter ihnen verschluckten seinen Vater, während die Schatten vor ihnen zurückwichen und andere Statuen enthüllten; dies waren nicht nur Lords, sondern die alten Könige des Nordens. Auf der steinernen Stirn trugen sie Kronen. Torrhen Stark, der Kniende König. Edwyn der Frühlingskönig. Theon Stark, der Hungrige Wolf. Brandon der Verbrenner
und Brandon der Schiffsbauer, Jorah und Jonos, Brandon der Böse, Walton der Mondkönig, Edderion der Bräutigam, Eyron, Benjen der Süße und Benjen der Bittere, König Edrick Schneebart. Ihre Gesichter waren ernst und voller Stärke, und manche von ihnen hatten schreckliche Dinge getan, doch ein jeder war ein Stark, und Bran kannte ihre Geschichten. In der Gruft hatte er sich niemals gefürchtet; sie war ein Teil seines Zuhauses, ein Teil seiner Selbst, und er hatte immer gewusst, dass er eines Tages ebenfalls hier unten liegen würde.
Jetzt war er sich dessen nicht mehr so sicher. Wenn ich nach oben gehe, werde ich dann jemals hierher zurückkehren? Wohin werde ich gehen, wenn ich sterbe?
»Wartet«, sagte Osha, als sie an der steinernen Wendeltreppe ankamen, die nach unten zu den tieferen Ebenen mit den Königen noch älterer Zeit auf ihren dunklen Thronen
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