Das Lied von Eis und Feuer 05 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 05 - A Storm of Swords. Book Three of A Song of Ice and Fire (1)
Sam den Baum los und sank vorsichtig in den Schnee. Der war kalt und nass, Sam wusste das, dennoch würde er es durch all die Kleidung kaum fühlen. Er starrte in den bleichen weißen Himmel, während die Schneeflocken über seinen Bauch und die Brust und die Augenlider dahintrieben. Der Schnee wird mich wie eine dicke weiße Decke zudecken. Unter dem Schnee wird es warm sein, und wenn sie von mir sprechen, wird es heißen, ich sei als Mann der Nachtwache gestorben. Das bin ich auch. Das bin ich auch. Ich habe meine Pflicht erfüllt. Niemand kann behaupten, ich hätte meinen Eid gebrochen. Ich bin fett und schwach und ein Feigling, aber ich habe meine Pflicht erfüllt.
Die Raben hatten seiner Verantwortung unterstanden. Deshalb hatten sie ihn überhaupt mitgenommen. Er hatte gar nicht mitgewollt, und das hatte er ihnen auch gesagt, er hatte ihnen allen erklärt, was für ein großer Feigling er sei. Doch Maester Aemon war sehr alt und außerdem blind, und deshalb hatten sie Sam mitgeschickt, damit er sich um die Raben
kümmerte. Der Lord Kommandant hatte ihm seine Befehle erteilt, als sie das Lager auf der Faust errichteten. »Du bist kein Kämpfer. So viel wissen wir beide, Junge. Falls wir angegriffen werden, versuch gar nicht erst, das Gegenteil zu beweisen, du wirst doch nur im Weg stehen. Du schickst eine Nachricht ab. Und komm nicht angelaufen und frag, was in dem Brief stehen soll. Schreib ihn einfach selbst, und dann schickst du einen Vogel zur Schwarzen Festung und einen zweiten zum Schattenturm.« Der Alte Bär hielt ihm den behandschuhten Zeigefinger geradewegs ins Gesicht. »Mir ist es gleichgültig, ob du dir vor Angst in die Hose machst, wenn tausend Wildlinge über die Mauer springen und heulend nach deinem Blut lechzen ... du schickst diese Vögel los, oder ich schwöre dir, dass ich dich durch alle sieben Höllen jagen werde und es dir verdammt leidtun wird, es nicht getan zu haben.« Mormonts Rabe hatte dazu mit dem Kopf genickt und gekrächzt: »Leid, Leid, Leid.«
Sam tat es leid; es tat ihm leid, dass er nicht tapferer, stärker oder besser im Umgang mit dem Schwert war; dass er seinem Vater kein besserer Sohn und Dickon und den Mädchen kein besserer Bruder gewesen war. Es tat ihm leid, jetzt zu sterben, aber auf der Faust waren bessere Männer gestorben, gute Männer, richtige Männer, keine quiekenden fetten Jungen wie er. Zumindest würde ihn der Alte Bär nicht durch die Hölle jagen. Wenigstens habe ich die Vögel abgeschickt. Wenigstens das habe ich richtig gemacht. Er hatte die Nachrichten im Voraus geschrieben, kurze, einfache Botschaften, die von einem Angriff auf die Faust der Ersten Menschen berichteten, dann hatte er sie sicher in seiner Tasche für Pergamente verstaut und gehofft, er würde sie niemals versenden müssen.
Als die Hörner ertönten, hatte Sam geschlafen. Zuerst glaubte er zu träumen, doch dann schlug er die Augen auf, und es schneite über dem Lager, und die Schwarzen Brüder schnappten sich Bögen und Speere und rannten zur Ringmauer. Chett war der Einzige in seiner Nähe, Maester Aemons
alter Bursche mit dem Gesicht voller Furunkel und dem großen Grützbeutel. Nie zuvor hatte Sam so viel Angst in einem Gesicht gesehen wie in diesem Moment in Chetts, als das dritte Horn klagend durch die Bäume tönte. »Hilf mir, die Vögel abzuschicken«, bettelte Sam, doch der andere hatte sich schon umgedreht und war mit dem Dolch in der Hand davongerannt. Er muss sich ja um die Hunde kümmern, fiel Sam ein. Vermutlich hatte der Lord Kommandant auch ihm besondere Befehle erteilt.
Seine Finger in den Handschuhen waren so steif und unbeholfen gewesen, und er hatte vor Angst und Kälte gezittert, aber er hatte die Tasche mit dem Pergament gefunden und die Nachrichten herausgeholt, die er geschrieben hatte. Die Raben kreischten wild, und beim Öffnen des Käfigs für die Schwarze Festung flog ihm einer der Vögel geradewegs ins Gesicht. Zwei weitere entflohen, ehe Sam einen fangen konnte, und der pickte ihm durch den Handschuh in den Finger, dass es blutete. Trotzdem hielt er das Tier lange genug fest, um die kleine Pergamentrolle zu befestigen. Inzwischen war das Kriegshorn verstummt, doch überall auf der Faust hörte man Befehle und das Rasseln von Stahl. »Flieg!«, rief Sam und warf den Raben in die Luft.
Die Vögel im Käfig für den Schattenturm kreischten und flatterten so verrückt herum, dass er sich zunächst fürchtete, die Tür zu öffnen; dennoch tat er es.
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