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Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell

Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell

Titel: Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R R Martin
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verschiedenen Stimmen, und er lebte seine Geschichten mehr, als dass er sie erzählte, spielte, wenn nötig, alle Rollen, den König im einen Moment und einen Schweinehirten im nächsten. Wenn er sich in ein Mädchen aus einer Bierschenke oder eine jungfräuliche Prinzessin verwandelte, sprach er mit hoher Falsettstimme, die jedermann Tränen lachen ließ, und seine Eunuchen waren stets gespenstisch treffende Karikaturen von Ser Allisar. Jon amüsierte sich wie alle über Pyps Mätzchen … doch wandte er sich an diesem Abend ab und ging stattdessen zum Ende der Bank, wo Samwell Tarly allein saß, so weit wie möglich abseits der anderen.
    Gerade wollte er die letzte Schweinefleischpastete essen, welche die Köche zum Abendbrot aufgetischt hatten, da setzte Jon sich ihm gegenüber. Der dicke Junge riss die Augen auf, als er Geist sah. »Ist das ein Wolf?«
    »Ein Schattenwolf«, sagte Jon. »Er heißt Geist. Der Schattenwolf ist das Siegel der Familie meines Vaters.«

    »Unseres ist ein schreitender Jägersmann«, sagte Samwell Tarly.
    »Jagst du gern?«
    Ein Schauer durchfuhr den Jungen. »Ich hasse es.« Er sah aus, als würde er gleich wieder weinen.
    »Was ist denn los?«, fragte Jon. »Warum fürchtest du dich dauernd so sehr?«
    Sam starrte den Rest seiner Schweinefleischpastete an und schüttelte kraftlos den Kopf, fürchtete sich sogar zu sehr, um zu sprechen. Brüllendes Gelächter erfüllte die Halle. Jon hörte, wie Pyp mit hoher Stimme quiekte. Er stand auf. »Gehen wir hinaus.«
    Argwöhnisch blickte das runde, feiste Gesicht zu ihm hoch. »Wieso? Was wollen wir draußen tun?«
    »Reden«, sagte Jon. »Hast du die Mauer schon gesehen?«
    »Ich bin dick, nicht blind«, gab Samwell Tarly zurück. »Natürlich habe ich sie gesehen. Sie ist siebenhundert Fuß hoch.« Dennoch stand er auf, legte einen pelzbesetzten Umhang um seine Schultern und folgte Jon aus dem Speisesaal hinaus, noch immer wachsam, als fürchtete er, draußen in der Nacht könne ihn ein grausamer Scherz erwarten. Geist tappte neben ihnen her. »Ich hätte nie gedacht, dass es so wäre«, sagte Sam, während sie gingen, und seine Worte dampften in der kalten Luft. Schon jetzt ächzte und keuchte er bei dem Versuch, Schritt zu halten. »Alle Gebäude stürzen ein, und es ist so … so …«
    »Kalt?« Harter Frost ließ sich auf die Burg hernieder, und Jon konnte das leise Knirschen grauer Gräser unter seinen Stiefeln hören.
    Sam nickte betrübt. »Ich hasse die Kälte«, sagte er. »Gestern Nacht bin ich im Dunkeln aufgewacht, und das Feuer war ausgegangen, und ich war mir sicher, dass ich bis zum Morgen erfroren sein würde.«
    »Dort, wo du herkommst, muss es wärmer sein.«
    »Erst letzten Monat habe ich zum ersten Mal Schnee gesehen. Wir kamen durch diese Hügellandschaft, ich und die
Männer, die mein Vater ausgesandt hat, mich in den Norden zu bringen, und plötzlich fiel dieses weiße Zeug vom Himmel wie weicher Regen. Anfangs fand ich es nur wunderschön, wie Federn, die vom Himmel schwebten, doch hörte es nicht auf, bis ich bis auf die Knochen durchgefroren war. Die Männer hatten Schnee in den Bärten und auf den Schultern, und noch immer fiel mehr und mehr davon. Ich fürchtete schon, es würde nie aufhören.«
    Jon lächelte.
    Die Mauer ragte vor ihnen auf, schimmerte fahl im Licht des halben Mondes. Am Himmel darüber leuchteten die Sterne klar und hell. »Wird man mich zwingen, dort hinaufzusteigen? «, fragte Sam. Sein Gesicht erstarrte wie alte Milch, als er die großen, hölzernen Stufen erklomm. »Ich würde sterben, wenn ich hinaufklettern sollte.«
    »Es gibt eine Winde«, sagte Jon. »Sie können dich in einem Käfig nach oben ziehen.«
    Samwell Tarly zog die Nase hoch. »Es gefällt mir nicht in der Höhe.«
    Das war zu viel. Jon sah ihn fragend an, ungläubig. »Fürchtest du dich vor allem?«, fragte er. »Das verstehe ich nicht. Wenn du wirklich so eine Memme bist, wieso bist du dann hier? Warum sollte ein Feigling zur Nachtwache gehen?«
    Samwell Tarly sah ihn lange an, und sein rundes Gesicht schien in sich zusammenzufallen. Er setzte sich auf den eisbedeckten Boden und fing an zu weinen, mit tiefen, erstickenden Schluchzern, die seinen ganzen Leib zum Beben brachten. Jon Schnee konnte nur dastehen und zusehen. Wie der Schneefall auf den Hügeln schien es, als würden die Tränen kein Ende nehmen.
    Es war Geist, der wusste, was zu tun war. Still wie ein Schatten schlich der helle Schattenwolf heran und begann,

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