Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell
Windenraum eine Wendeltreppe hinauf. Hohenehr war, verglichen mit den Ansprüchen der großen Häuser, eine kleine Burg. Sieben schlanke Türme standen eng wie Pfeile im Köcher auf einer Schulter des großen Berges. Man brauchte weder Ställe noch Schmieden oder Hundezwinger, doch Ned sagte, die Kornkammer sei so groß wie die auf Winterfell, und in den Türmen ließen sich fünfhundert Menschen unterbringen. Doch wirkte die Burg auf Catelyn seltsam verlassen, als sie hindurchging und die steinernen Hallen vor Leere widerhallten.
Lysa erwartete sie allein in ihrem Solar, noch im Schlafkleid. Das lange, kastanienbraune Haar fiel ungebändigt über nackte, weiße Schultern und über ihren Rücken. Eine Magd stand hinter ihr und bürstete die Verwirrungen der Nacht heraus, doch als Catelyn eintrat, stand ihre Schwester auf und lächelte. »Cat«, sagte sie. »Oh, wie gut es tut, dich zu sehen. Meine süße Schwester.« Sie kam durch die Kammer gelaufen und schloss ihre Schwester in die Arme. »Wie lange es schon her ist«, murmelte Lysa an sie gepresst. »Oh, wie sehr, sehr lange schon.«
Tatsächlich waren es fünf Jahre … fünf grausame Jahre für Lysa. Sie hatten ihren Tribut gefordert. Ihre Schwester war zwei Jahre jünger, doch sah sie inzwischen älter aus als Catelyn. Lysa war kleiner, und im Lauf der Jahre war sie rund geworden und blass und aufgedunsen im Gesicht. Sie hatte die blauen Augen der Tullys, doch waren sie trübe und wässrig und standen nie still. Ihr kleiner Mund zeigte einen verdrießlichen Zug. Als Catelyn sie in den Armen hielt, erinnerte sie sich an das schlanke Mädchen mit den hohen Brüsten, die an jenem Tag in der Septe von Schnellwasser an ihrer Seite gewartet hatte. Wie lieblich und voller Hoffnung sie gewesen war. Geblieben war ihrer Schwester nur das volle, dunkelbraune Haar, das ihr bis zur Hüfte reichte.
»Du siehst gut aus«, log Catelyn, »aber … müde.«
Ihre Schwester löste die Umarmung. »Müde. Ja. O ja.« Dann schien sie die anderen zu bemerken, ihre Magd, Maester
Colemon, Ser Vardis. »Geht«, sagte sie. »Ich möchte mit meiner Schwester allein sprechen.« Sie hielt Catelyns Hand, als die anderen sich zurückzogen …
… und ließ sie los, sobald die Tür ins Schloss fiel. Catelyn sah, wie sich ihr Gesicht veränderte. Es war, als wäre die Sonne hinter einer Wolke verschwunden. »Hast du denn vollkommen den Verstand verloren?«, herrschte Lysa sie an. »Ihn hierher zu bringen, ohne meine Zustimmung, ohne auch nur eine Warnung, uns in deinen Streit mit den Lennisters hineinzuziehen …«
»Meinen Streit?« Catelyn konnte kaum glauben, was sie hörte. Ein großes Feuer brannte im Kamin, doch in Lysas Stimme war von Wärme nichts zu spüren. »Erst war es dein Streit, Schwester. Du hast mir diesen verfluchten Brief geschrieben, du hast geschrieben, die Lennisters hätten deinen Mann ermordet!«
»Um dich zu warnen, damit du dich von ihnen fernhältst! Ich wollte sie nie bekämpfen! Bei allen Göttern, Cat, weißt du, was du getan hast?«
»Mutter?«, fragte eine leise Stimme. Lysa fuhr herum, und ihre schwere Robe wogte auf. Robert Arryn, Lord über Hohenehr, stand in der Tür, drückte eine abgewetzte Stoffpuppe an seine Brust und sah sie mit großen Augen an. Er war ein schmerzlich dünnes Kind, klein für sein Alter, stets kränklich, und von Zeit zu Zeit schüttelte es ihn. Zitterkrankheit nannten es die Maester. »Ich habe Stimmen gehört.«
Kein Wunder, dachte Catelyn. Lysa hatte beinahe geschrien. Noch immer durchbohrte ihre Schwester sie mit Blicken. »Das ist deine Tante Catelyn, mein Kleiner. Meine Schwester, Lady Stark. Erinnerst du dich an sie?«
Der Junge sah sie leeren Blickes an. »Ich glaube schon«, sagte er blinzelnd, obwohl er kaum ein Jahr alt gewesen war, als Catelyn ihn zuletzt gesehen hatte.
Lysa setzte sich ans Feuer. »Komm zu Mutter, mein Liebling. « Sie strich seine Schlafkleider glatt und ordnete sein feines, braunes Haar. »Ist er nicht hübsch? Und stark ist er auch,
glaub nicht, was du hörst. Jon wusste es. Die Saat ist stark, hat er zu mir gesagt. Seine letzten Worte. Immer wieder hat er Roberts Namen gesagt und meinen Arm so fest gepackt, dass es Spuren hinterließ. Sag ihnen, die Saat ist stark. Seine Saat. Er wollte, dass alle wussten, was für ein guter, kräftiger Junge mein Liebling werden würde.«
»Lysa«, sagte Catelyn, »wenn du Recht hast, was die Lennisters angeht, haben wir noch weit mehr Grund, schnell zu
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