Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell
»Umso bedauerlicher.« Er legte Jon eine Hand auf die Schulter. »Komm wieder, wenn du selbst ein paar Bastarde gezeugt hast, und dann sehen wir weiter.«
Jon bebte. »Nie werde ich einen Bastard zeugen«, sagte er vorsichtig. »Niemals!« Er spuckte es aus wie Gift.
Plötzlich merkte er, dass der ganze Tisch inzwischen schwieg und alle ihn ansahen. Er merkte, dass ihm Tränen in die Augen stiegen. Ruckartig erhob er sich auf die Beine.
»Entschuldigt mich«, sagte er mit aller Würde, die ihm noch geblieben war. Er wandte sich ab, bevor sie seine Tränen sehen konnten. Er musste wohl mehr Wein getrunken haben, als ihm bewusst gewesen war. Seine Beine bogen sich unter ihm, als er zu gehen versuchte, und seitwärts torkelte er in eine Kellnerin, dass ein Krug mit gewürztem Wein zu Boden ging. Überall um ihn brandete Gelächter auf, und Jon spürte heiße Tränen auf den Wangen. Jemand versuchte, ihn zu stützen. Er riss sich los und rannte fast blindlings zur Tür. Geist folgte ihm auf den Fersen in die Nacht hinaus.
Still und leer lag der Hof da. Ein einsamer Wachmann stand oben auf den Zinnen der inneren Mauer, den Umhang gegen die Kälte eng um sich gelegt. Erbärmlich und gelangweilt sah er aus, wie er sich allein dort wärmte, doch im Augenblick hätte Jon gern mit ihm getauscht. Ansonsten war die Burg finster und verlassen. Jon hatte einmal einen leeren Zwinger gesehen, einen trübseligen Ort, an dem sich nur der Wind regte und die Steine sich darüber ausschwiegen, welche Menschen hier einst gelebt hatten. Daran erinnerte ihn Winterfell an diesem Abend.
Musik und Gesang drangen durch die offenen Fenster hinter ihm. Es war das Letzte, was Jon hören wollte. Er wischte sich die Tränen mit seinem Hemdsärmel ab, wütend, dass er sich nicht hatte beherrschen können, und wandte sich zum Gehen.
»Junge«, rief ihn eine Stimme. Jon fuhr herum.
Tyrion Lennister hockte auf dem Sims über der Tür zum Großen Saal und starrte wie ein Wasserspeier in die Welt hinaus. Der Gnom grinste zu ihm herab. »Ist das Tier ein Wolf?«
»Ein Schattenwolf«, antwortete Jon. »Er heißt Geist.« Er sah zu dem kleinen Mann auf, und plötzlich war seine Enttäuschung
vergessen. »Was treibt Ihr dort oben? Warum seid Ihr nicht auf dem Fest?«
»Zu heiß, zu laut, und ich würde nur zu viel Wein trinken«, erklärte der Zwerg. »Vor langer Zeit schon habe ich gelernt, dass es als rüde angesehen wird, sich auf dem Schoß seines Bruders zu erbrechen. Darf ich mir deinen Wolf aus der Nähe ansehen?«
Jon zögerte, dann nickte er langsam. »Könnt Ihr herunterklettern, oder soll ich eine Leiter holen?«
»Oh, vergiss es«, sagte der kleine Mann. Er stieß sich vom Sims ab und segelte durch die Luft. Jon stöhnte auf, als er staunend beobachtete, dass Tyrion Lennister sich wie ein Ball drehte, leicht auf den Händen landete, dann einen Salto rückwärts auf die Beine machte.
Verunsichert wich Geist vor ihm zurück.
Der Zwerg klopfte den Schmutz von seiner Kleidung und lachte. »Ich fürchte, ich habe deinen Wolf erschreckt. Ich bitte um Verzeihung.«
»Er hat keine Angst«, sagte Jon. Er kniete nieder und rief: »Geist, komm her. Komm schon. So ist es brav.«
Das Wolfsjunge tapste heran und schmiegte sich an Jons Gesicht, dabei behielt es Tyrion Lennister wachsam im Auge, und als der Zwerg eine Hand ausstreckte, um es zu streicheln, wich es zurück und fletschte die Zähne mit einem leisen Knurren. »Scheu ist er, was?«, bemerkte Lennister.
»Sitz, Geist«, befahl Jon. »Genau so. Bleib sitzen.« Er sah zu dem Zwerg auf. »Jetzt könnt Ihr ihn anfassen. Er wird sich erst rühren, wenn ich es sage. Ich habe ihn abgerichtet.«
»Verstehe«, sagte Lennister. Er kraulte das schneeweiße Fell zwischen Geists Ohren. »Hübscher Wolf.«
»Wenn ich nicht dabei wäre, würde er Euch die Kehle rausreißen«, sagte Jon. Es entsprach nicht ganz der Wahrheit, doch würde es bald so sein.
»In diesem Fall solltest du lieber in der Nähe bleiben«, sagte der Zwerg. Er neigte seinen übergroßen Kopf zur Seite
und musterte Jon mit ungleichen Augen. »Ich bin Tyrion Lennister.«
»Ich weiß«, sagte Jon. Er stand auf. Stehend war er größer als der Zwerg. Es gab ihm ein seltsames Gefühl.
»Du bist Ned Starks Bastard, wenn ich nicht irre.«
Jon fühlte, wie Kälte ihn durchfuhr. Er presste die Lippen zusammen und antwortete nicht.
»Habe ich dich verletzt?«, sagte Lennister. »Tut mir leid. Zwerge müssen nicht taktvoll sein.
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