Das Lied von Eis und Feuer 6 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 6 - A Storm of Swords. Book Three of A Song of Ice and Fire (2)
umrundet haben, sorgte er sich, oder vielleicht zu weit nach Westen, weil ich versucht habe, das auszugleichen. Inzwischen hasste er Flüsse und Seen. Hier oben gab es nirgendwo eine Brücke oder eine Fähre, und so musste man Seen umgehen und Stellen suchen, wo man durch die Flüsse hindurchwaten konnte. Es war leichter, einem Wildpfad zu folgen, als sich durch das Unterholz zu schlagen, leichter, einen Steilhang zu umgehen, als ihn zu erklimmen. Wenn Bannen oder Dywen bei uns wären, hätten sie uns längst zur Schwarzen Festung zurückgeführt, wo wir uns im Gemeinschaftsraum die Füße wärmen könnten. Doch Bannen war tot, und Dywen hatte sich Grenn, dem Schwermütigen Edd und den anderen angeschlossen.
Die Mauer ist dreihundert Meilen lang und über zweihundert Meter hoch, sagte sich Sam. Wenn sie immer nach Süden wanderten, mussten sie zwangsläufig darauf stoßen. Und er war sich sicher, dass sie nach Süden gegangen waren. Tagsüber konnte er die Richtung an der Sonne erkennen, in klaren Nächten folgten sie dem Schwanz des Eisdrachen, obwohl sie seit dem Tod des zweiten Pferdes nur noch selten nachts weitergezogen waren. Selbst bei Vollmond war es unter den Bäumen zu dunkel, und leicht hätten sich Sam oder das letzte Tier ein Bein brechen können. Wir müssen inzwischen schon weit im Süden sein, wir müssen einfach.
Allerdings war er sich nicht so sicher, wie weit sie nach Osten oder Westen abgewichen waren. Die Mauer würden sie finden, ja … am nächsten Tag oder in zwei Wochen, weiter konnte es nicht mehr sein, ganz bestimmt nicht … aber an welcher Stelle ? Sie suchten das Tor der Schwarzen Festung, denn
das stellte auf Hunderten von Meilen den einzigen Durchlass in der Mauer dar.
»Ist die Mauer wirklich so groß, wie Craster immer behauptet hat?«, erkundigte sich Goldy.
»Größer.« Sam bemühte sich, fröhlich zu klingen. »So groß, dass man sogar die Burgen dahinter nicht sehen kann. Aber sie sind da, du wirst es sehen. Die Mauer ist ganz aus Eis, die Burgen dagegen aus Stein und Holz. Es gibt hohe Türme und tiefe Gewölbe und riesige Langhallen, in deren Kaminen große Feuer brennen, Tag und Nacht. Da drin ist es so heiß, dass du es kaum glauben wirst, Goldy.«
»Ob ich wohl am Feuer stehen darf? Ich und der Junge? Nicht lange, nur bis wir uns aufgewärmt haben.«
»Du kannst am Feuer stehen, solange du möchtest. Außerdem bekommst du zu essen und zu trinken. Heißen gewürzten Wein und eine Schüssel Hammelfleisch mit Zwiebeln, und Hobbs Brot frisch aus dem Ofen, das ist so heiß, dass du dir die Finger daran verbrennst.« Sam zog einen Handschuh aus und hielt seine Finger vors Feuer, was er jedoch bald bereute. In der Kälte waren sie taub gewesen, doch nun kehrte allmählich das Gefühl zurück, und damit fingen sie an, entsetzlich wehzutun. Beinahe hätte er aufgeschrien. »Manchmal singt einer der Brüder sogar«, sagte er, um sich von dem Schmerz abzulenken. »Dareon hat am besten gesungen, aber den haben sie nach Ostwacht geschickt. Dann gibt es noch Halder. Und Kröte. Sein richtiger Name ist Todder, aber er sieht aus wie eine Kröte, deswegen nennen wir ihn so. Er singt gern, aber seine Stimme klingt schrecklich.«
»Singst du auch?« Goldy rückte ihre Felle zurecht und legte den Säugling von einer Brust an die andere.
Sam errötete. »Ich … ich kenne ein paar Lieder. Als ich klein war, habe ich gern gesungen. Und getanzt, aber meinem Hohen Vater hat das nicht gefallen. Er hat gesagt, wenn ich tanzen wollte, solle ich das im Hof tun, mit einem Schwert in der Hand.«
»Könntest du ein Lied aus dem Süden singen? Für den Kleinen? «
»Wenn du magst.« Sam überlegte kurz. »Ich kenne ein Lied, das unser Septon immer für mich und meine Schwestern gesungen hat, als wir noch klein waren und es Schlafenszeit war. ›Das Lied der Sieben‹ heißt es.« Er räusperte sich und sang leise:
Der Vater hat ein ernstes, starkes Gesicht,
Über Gut und Böse sitzt er zu Gericht.
Urteilt übers Leben, das ist seine Pflicht,
Und er liebt die kleinen Kinder.
Die Mutter ist jene, die schenkt das Leben,
Hat den Frauen stets ihren Schutz gegeben.
Ihr Lächeln kann jeglichen Streit beheben,
Und sie liebt die kleinen Kinder.
Der Krieger ist es, der vor den Feind sich stellt,
Beschützt uns tagein und tagaus in der Welt,
Mit Schwert und mit Bogen, mit Speer und mit Schild,
Er wacht über die kleinen Kinder.
Das Alte Weib ist so weise und alt,
Erkennt unser
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