Das Lied von Eis und Feuer 7 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 7 - A Feast of Crows. A Song of Ice and Fire, vol 4 (4/1)
konnte. Nun kam Wind auf. Die Segel waren so grau wie zu oft gewaschene schwarze Mäntel, und Goldys Gesicht war weiß vor Angst. »Das ist ein gutes Schiff«, versuchte Sam ihr zu versichern. »Du brauchst dich nicht zu fürchten.« Doch sie sah ihn nur an, hielt ihr Kind fester und floh nach unten.
Bald umklammerte er das Schandeck und beobachtete das Pendeln der Ruder. Wie sie sich alle zusammen bewegten, war irgendwie schön anzuschauen und besser, als auf die Wasseroberfläche
zu starren. Der Anblick des Wassers ließ ihn immer nur ans Ertrinken denken. Als er klein gewesen war, hatte ihm sein Hoher Vater das Schwimmen beibringen wollen, indem er Sam in den Teich unterhalb von Hornberg geworfen hatte. Das Wasser war Sam in Nase, Mund und Lunge gedrungen, und er hatte stundenlang gejapst und gehustet, nachdem Ser Hylo ihn wieder herausgezogen hatte. Danach hatte er sich nie tiefer ins Wasser getraut als bis zum Bauch.
Die Seehundsbucht reichte allerdings viel tiefer als nur bis zum Bauch und war längst nicht so friedlich wie der kleine Fischteich unterhalb der Burg seines Vaters. Das Wasser war grau und grün und kabbelig, und vor der bewaldeten Küste, der sie folgten, wechselten sich Felsen und Strudel in wirrem Durcheinander ab. Selbst wenn er es mit Strampeln und Paddeln bis dorthin schaffte, würden die Wellen ihn vermutlich gegen diese Klippen schleudern und ihm den Kopf zerschmettern.
»Hältst du Ausschau nach Meerjungfrauen, Töter?«, fragte Dareon, der sah, wie Sam über die Bucht hinwegschaute. Mit seinem blonden Haar und den braunen Augen erinnerte der stattliche junge Sänger aus Ostwacht eher an einen düsteren Prinzen als an einen Schwarzen Bruder.
»Nein.« Sam wusste nicht, wonach er Ausschau hielt, oder was er eigentlich auf diesem Boot zu suchen hatte. Ich bin unterwegs zur Citadel, um mir eine Kette zu schmieden und Maester zu werden, damit ich der Wache besser dienen kann, redete er sich ein, doch bei dem Gedanken befiel ihn eine fürchterliche Erschöpfung. Er wollte kein Maester werden und eine schwere Kette um den Hals tragen, die kalt auf der Haut lag. Er wollte seine Brüder nicht verlassen, die einzigen Freunde, die er je gehabt hatte. Und gewiss wollte er nicht seinem Vater gegenübertreten, der ihn zur Mauer geschickt hatte, damit er dort sterben sollte.
Für seine Gefährten lag der Fall anders. Für sie würde die Reise einen guten Ausgang nehmen. Goldy würde in Hornberg
Sicherheit finden, und zwischen ihr und den Schrecken, die sie im Verfluchten Wald erlebt hatte, lag dann die gesamte Länge von Westeros. Als Dienstmädchen auf der Burg seines Vaters würde sie es warm haben und genug zu essen bekommen und ein kleiner Teil einer großen Welt sein, von der sie als Crasters Weib nicht zu träumen hätte wagen dürfen. Sie würde miterleben, wie ihr Sohn groß und stark heranwuchs und Jäger, Stallknecht oder Schmied wurde. Falls der Junge eine Begabung für Waffen zeigte, nahm ihn vielleicht sogar ein Ritter zum Knappen.
Maester Aemon war ebenfalls zu einem besseren Ort unterwegs. Es erfüllte Sam mit Freude, sich vorzustellen, wie er seine verbleibende Zeit in der lauen Luft von Altsass verbringen, mit anderen Maestern plaudern und seine Weisheit an Akolythen und Novizen weitergeben würde. Diesen ruhigen Lebensabend hatte er hundertmal verdient.
Sogar Dareon würde es besser treffen als Sam. Er hatte stets seine Unschuld beteuert, was die Vergewaltigung betraf, wegen der man ihn zur Mauer geschickt hatte, und darauf beharrt, dass er an den Hof eines Lords gehöre, um für sein Essen zu singen. Jetzt würde er dazu Gelegenheit erhalten. Jon hatte ihn zum Anwerber ernannt, und als solcher sollte er an die Stelle eines Mannes namens Yoren treten, der verschollen war und für tot gehalten wurde. Seine Aufgabe würde darin bestehen, durch die Sieben Königslande zu ziehen und Lieder über den Heldenmut der Nachtwache zu singen, um von Zeit zu Zeit mit neuen Rekruten zur Mauer zurückzukehren.
Sie hatten eine lange, stürmische Reise vor sich, das konnte niemand bestreiten, doch für die anderen würde sie zumindest ein gutes Ende nehmen. Das war Sams Trost. Ich gehe für sie, redete er sich ein, für die Nachtwache, und damit alles ein gutes Ende nimmt. Je länger er allerdings auf das Meer starrte, desto kälter und tiefer erschien es ihm.
Aber nicht aufs Wasser zu starren war noch schlimmer, stellte Sam in der engen Kabine unter dem Achterkastell fest, die
sich die
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