Das Lied von Eis und Feuer 7 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 7 - A Feast of Crows. A Song of Ice and Fire, vol 4 (4/1)
anderer goss ihr winzige Becher mit Feuerwein ein. Die Freundlichen tippten sich an die Brust und sagten wieder und wieder ihren Namen, bis Arya ihn wiederholte, obwohl sich keiner nach ihrem Namen erkundigte. Man nannte sie Salzy, weil sie in Salzpfann an Bord gekommen war, nahe der Mündung des Trident. Der Name war wahrscheinlich ebenso gut wie jeder andere.
Der letzte Stern der Nacht war verschwunden … nicht jedoch das Paar, das sich direkt vor ihnen befand. »Jetzt sind es zwei Sterne.«
»Zwei Augen«, erklärte Denyo. »Der Titan sieht uns.«
Der Titan von Braavos. Die Alte Nan hatte ihnen damals in Winterfell Geschichten über den Titanen erzählt. Er war ein Riese, groß wie ein Berg, und wann immer Braavos bedroht wurde, erwachte er mit Feuer in den Augen und watete mit knirschenden, ächzenden Gliedern aus Fels hinaus ins Meer, um den Feind zu zerschmettern. »Die Braavosi füttern ihn mit dem saftigen rosa Fleisch kleiner hochgeborener Mädchen«,
endete Nan stets, und Sansa stieß ein törichtes Quieken aus. Aber Maester Luwin behauptete, der Titan sei bloß eine Statue und Nans Geschichten eben nur Geschichten.
Winterfell ist gefallen und niedergebrannt, rief sich Arya in Erinnerung. Die Alte Nan und Maester Luwin waren aller Wahrscheinlichkeit nach tot, und Sansa auch. Es hatte keinen Sinn, an sie zu denken. Alle Menschen müssen sterben. Das bedeuteten die Worte, diejenigen, die Jaqen H’ghar sie gelehrt hatte, als er ihr die abgenutzte eiserne Münze geschenkt hatte. Seit ihrem Aufbruch von Salzpfann hatte sie weitere Braavosi-Worte gelernt, bitte und danke und Meer und Stern und Feuerwein , doch stets in dem Wissen, dass alle Menschen sterben müssen. Die meisten Seeleute auf der Tochter kannten einige Brocken der Gemeinen Zunge aus den Nächten, die sie in Altsass und Königsmund und Jungfernteich an Land verbracht hatten, obwohl nur der Kapitän und seine Söhne sie gut genug beherrschten, um sich mit ihr zu unterhalten. Denyo war der jüngste dieser Söhne, ein rundlicher, fröhlicher Junge von zwölf Jahren, der seinem Vater die Kabine sauber hielt und seinem ältesten Bruder beim Rechnen half.
»Ich hoffe, euer Titan ist nicht hungrig«, sagte Arya zu ihm.
»Hungrig?«, fragte Denyo verwirrt.
»Nicht weiter wichtig.« Selbst wenn der Titan saftiges rosa Mädchenfleisch aß, würde sich Arya nicht vor ihm fürchten. Sie war mager und kein anständiges Mahl für einen Riesen und dazu schon elf und somit praktisch eine erwachsene Frau. Und Salzy ist auch keine Hochgeborene. »Ist der Titan der Gott von Braavos?«, fragte sie. »Oder gibt es bei euch die Sieben?«
»In Braavos werden alle Götter geehrt.« Der Sohn des Kapitäns sprach fast genauso gern über seine Stadt wie über das Schiff seines Vaters. »Deine Sieben haben eine Septe hier, die Septe-jenseits-des-Meeres, aber dort beten nur Seeleute aus Westeros.«
Es sind nicht meine Sieben. Sie waren die Götter meiner Mutter, und sie haben zugelassen, dass sie von den Freys auf den Zwillingen ermordet wurde. Arya fragte sich, ob sie in Braavos einen Götterhain finden würde, in dessen Mitte ein Wehrholzbaum stand. Denyo würde es vielleicht wissen, doch ihn konnte sie nicht fragen. Salzy stammte aus Salzpfann, und was sollte ein Mädchen aus Salzpfann schon über die alten Götter des Nordens wissen? Die alten Götter sind tot, sagte sie sich, zusammen mit Mutter und Vater und Robb und Bran und Rickon, alle tot. Vor langer Zeit hatte ihr Vater einmal gesagt, dass der einsame Wolf stirbt, wenn die kalten Winde wehen, das Rudel hingegen überlebt. Er hat es genau verkehrt herum gesagt. Arya, der einsame Wolf, lebte noch, aber die Wölfe des Rudels waren gefangen, getötet und gehäutet worden.
»Die Mondsänger haben uns zu dieser Zufluchtsstätte geführt, wo die Drachen aus Valyria uns nicht finden konnten«, erklärte Denyo. »Ihnen gehört der größte Tempel. Wir achten auch den Vater des Wassers sehr, aber sein Haus wird neu errichtet, wann immer er sich seine Braut nimmt. Der Rest der Götter wohnt gemeinsam auf einer Insel inmitten der Stadt. Dort findest du den … den Vielgesichtigen Gott.«
Die Augen des Titans wirkten jetzt heller und standen weiter auseinander. Arya kannte keinen Vielgesichtigen Gott, aber wenn der ihre Gebete erhörte, wäre er der Gott, nach dem sie suchte. Ser Gregor, dachte sie, Dunsen, Raff der Liebling, Ser Ilyn, Ser Meryn, Königin Cersei. Nur noch sechs. Joffrey war tot, der Bluthund hatte
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