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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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reden: »Das kam schon vor, da wollte einer ein Mädchen haben, also raubte er es sich. Der Mann selbst tauchte gar nicht auf, die Freunde von dem, der sie haben wollte, halfen. Ein Sack über den Kopf und ab auf
den Esel oder den Karren, später ins Auto. Die hatten keine Chance.«
    »Einfach so, am helllichten Tage?« Jetzt schaute sie mich endlich wieder an.
    »Ein schon entwickeltes Mädchen«, sie zeigte vage an ihrem drallen Körper hinab, »durfte eben nicht alleine unterwegs sein. Es gehörte sich nicht und war außerdem gefährlich. Immer musste jemand mit, der Bruder oder die große Schwester samt ihrem Verlobten oder die Mutter, am besten der Vater.«
    »Und wenn gerade kein Bruder oder Vater zur Hand war?«
    »Ehh ...!« Patsch! Sie hatte mit der Hand auf den Tisch geschlagen, als ob sie eine Fliege töten wollte. Ich zuckte zusammen.
    »Aber das Mädchen wollte ihn doch gar nicht heiraten! Und danach erst recht nicht.«
    Signora Pollini schüttelte den Kopf. »Natürlich wollte keines von den armen Mädchen diesen Kerl, der ihr das angetan hatte, heiraten, aber die Ehre war nun mal dahin. Auch wenn sie nur die Nacht außer Haus verbracht hatten und sonst vielleicht nichts passiert war. Na ja«, fügte sie schnell hinzu, »meistens war ja etwas passiert. Manchmal wurde sie dort auch mehrere Tage festgehalten, in einer einsamen Hütte, oder einem Schuppen, irgendwo auf dem Land. Und dann kamen sie zusammen zurück. Das Mädchen war berührt, toccata. Und das war eine Schande! Die Mütter schickten ihre Töchter in seine Familie, hin zu seiner Mutter, um durch eine Heirat wenigstens ein bisschen der Familienehre zu retten. Wer hätte sie sonst auch noch genommen? Keiner wollte sie mehr.«

    »Aber die Frauen, die anderen Frauen, die wussten doch, dass die Mädchen nichts dafür konnten.«
    »Ja, ja, schon. Aber es ging doch auch um die Ehre des Mädchens! Das Mädchen bekam eine Ohrfeige, der Mann auch, vielleicht auch zwei, vom Vater des Mädchens, und dann wurde ihnen das Bett gemacht.«
    »Welches Bett?«
    »Das Ehebett der Eltern. Sie waren Mann und Frau, basta. Da konnte keiner mehr dran rütteln. Das Mädchen hätte sonst immer diesen Ruf behalten.«
    »Welchen Ruf?«
    »Na, den einer Hure«, erwiderte Signora Pollini prompt.
    Ich krümmte mich zusammen, allein vom Zuhören hatte ich Bauchschmerzen bekommen. Etwas von der falschen Moral hing auch nach über vierzig Jahren noch zwischen den Wänden dieser Küche, wie der fettige Dunst der frittierten Artischockenböden von heute Mittag. Meiner Mutter war die »Schande« passiert, und doch erwähnte Signora Pollini sie mit keinem Wort. »Mein Vater hat damals die junge Allegra Maria vergewaltigt. Salvatore Bellone!«
    Sie schaute mich an und sagte bekümmert: »Ogni nato e destinato.« Wieder der Spruch vom Schicksal, dem man nicht entkommen kann.
    »Sagen Sie doch einfach ›Ja, so war es!‹, verdammt noch mal.« Ich stand so schnell auf, dass der Küchenstuhl beinah umfiel, und rannte aus der Küche.
     
    In dieser Nacht atmete ich die stickige Luft der muffigen Dunkelheit ein, als man ihr einen Sack über den Kopf stülpte und in das Auto zerrte. Ich sah meinen Vater Salvatore mit hämischem Grinsen über ihr, er knickte ihren Körper
in alle Positionen und hämmerte sein dickes Glied in sie. Ich spürte die Lumpen, auf denen meine Mutter danach ohne Stimme, mit schmerzenden, fast ausgerenkten Schenkeln, gelegen haben muss. Hatte sie sich gewehrt? Er musste sie gewürgt haben. Hatte sie nach Finú gerufen? Lautlos schluchzend, die Arme kraftlos um mich geschlungen, lag ich unter der Decke meines Pensionsbettes wach. Plötzlich fühlte ich mich unerträglich schmutzig. Ich duschte heiß und lange, und als ich mich in zwei Handtücher gehüllt auf das Bett legte, fühlte ich mich ein wenig besser. Vielleicht ging meine Fantasie mit mir durch, vielleicht war alles ganz anders abgelaufen. Aber im nächsten Moment erkannte ich, dass mein Hoffen sinnlos war. Mein Vater, den ich liebevoll »Paparino« genannt hatte, war ein Vergewaltiger! Er, der mich mit seinen Sprüchen belehrt hatte. Ihre Ehre und ihr Ruf, das sind die Schätze einer jeden Frau! Er war ein widerlicher, brutaler Heuchler! Jedes Erlebnis meiner Kindheit bekam jetzt eine völlig andere Bedeutung.
    Meine Mutter war gefangen in dem hässlichen Kasten mit der Klinkerfassade, den Butzenscheiben und dem goldenen Restaurantschild über der Tür. Da Salvatore. Der Name ihres Peinigers. Ich wollte

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