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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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in mir erzeugt hatte, spürte ich ein Verlangen nach der Lady Madonna aufflackern, wie heute Mittag am Flughafen, nur viel stärker. Ich hatte sie gehen lassen und besaß nicht einmal ihre Telefonnummer. Ein paar Sekunden lang sah ich mein Leben an ihrer Seite, blitzschnell eingetauscht gegen jenes, das ich mit Brigida führte. Ich saß in einer spärlich eingerichteten Einbauküche und schaute Lella
jeden Abend glücklich dabei zu, wie sie Spaghetti für mich kochte. Wir lagen im Bett, und ich hielt ihre Hand. Wir fuhren jedes Jahr in dasselbe ligurische Bergdorf, und wenn wir auf der Straße ein Eis aßen, ließen wir uns im gleichen Moment probieren, wir drehten uns einander zu, ich legte meine Hand ganz leicht auf ihre Hüfte und hielt ihr meine Eiswaffel hin, sie lachte mich an und öffnete ihren wundervollen Mund...
    Plötzlich tauchte der dicke Taxifahrer vor meinem Gesicht auf. »Du bekommst sie jedenfalls nicht«, rief ich in sein Grinsen, »ich durchschaue dich, du hast es doch auch gerade bei ihr probiert!« Er schnalzte mit der Zunge und schüttelte entrüstet den Kopf. Der Kerl hatte mich genau verstanden! Doch da grinste er schon wieder und schob mich aus der Bar.

Kapitel 8
    LELLA
    Fahrer Mario hob mein Gepäck aus dem Kofferraum des Taxis.
    »Und noch mal Entschuldigung, das mit der Verwechslung tut mir leid, Signorina.«
    Ich winkte ab, schon gut, arrivederci dann also. Ich legte mir Leonardos Fototasche um, hängte meine Handtasche über die andere Schulter und zog den Koffer hinter mir her. Phils Blicke bohrten sich in meinen Rücken. Ja schau du nur, dachte ich. Deine aquamarinblauen Augen und das Aussehen eines hübschen Schauspielers haben mich irgendetwas Großartiges über dich glauben lassen. Ich schnaubte, nie mehr würde ich Gott mit meinen lächerlichen Bitten belästigen. Wie schnell er den Campari getrunken, mit was für einer veränderten Stimme er telefoniert hatte, so beiläufig und doch so bittend, so ängstlich! Aber das konnte er ja machen, wie er wollte, es ging mich nichts an. Er war eben nicht der, den ich in ihm gesehen hatte. War das etwa seine Schuld? Na also. Und außerdem hatte er ja eine Freundin.
    »Bri-dschi-da«, flüsterte ich. Was für ein Angeber-Name! Das Gehen an der milden Luft, in der man das nahe Meer
erschnuppern konnte, ließ mich wieder wach werden. Die Via Palagonia stieg vor mir an, hier waren die Bordsteine so hoch, dass ich den Koffer jedes Mal, wenn ich eine Seitenstraße überqueren wollte, runter- und auf der anderen Seite wieder heraufheben musste. Ich kam an hohen Zäunen vorbei, an denen Briefkästen hingen. Die vergitterten Türen trugen oben Spitzen aus Eisen und waren verschlossen; man musste klingeln, um eingelassen zu werden. Das Limonenhaus war nie bewacht und verriegelt gewesen. »Ich könnte in einem solchen Käfig nicht wohnen«, hatte Leonardo einmal gesagt. Sich an seine Sätze zu erinnern tat immer noch weh. Wann würde das aufhören, wann würden die Erinnerungen an ihn nicht mehr so schmerzen? Ich wollte mit meinem Koffer und Leonardos Fototasche weg von den Gitterkäfigen, wollte einfach nur weiterlaufen und meine Beine spüren. Die Sonne stand bereits tief, doch es war immer noch angenehm warm. Ich trabte die Via Diego d’Amico entlang.
    Grazias Luxus-Sarg war nun bereits in ein eckiges Loch in der Mauer geschoben worden, vermutete ich, umgeben von Generationen von LaMacchias, denn ihre Bitte, neben Leonardo liegen zu dürfen, würde natürlich eine Bitte bleiben. Vielleicht besaßen die LaMacchias aber auch eines der prachtvoll geschmückten Totenhäuser, in das Grazia mit ihrem Sarg ziehen konnte, überlegte ich, während ich weiter und immer weiter durch die Straßen marschierte. Sicher besaßen sie eines. Alle Familien, die etwas auf sich hielten, hatten heutzutage Grabstätten, in die man hineingehen konnte und zu denen man einfach mit dem Auto fuhr. Manche hatten ganz normale Haustüren und Fenster, kleine Einfamilienhäuschen, die den Friedhof von Bagheria zu
einer Mini-Wohnsiedlung mit Vorgärtchen, eingeschränktem Halteverbot und Baustellenlücken verwandelten.
    Meine Abwesenheit würde den LaMacchias auffallen. Meine Eingeweide zogen sich mit einem kleinen Angststoß zusammen, wenn ich an Teresas eiskalten Blick dachte. Doch wem nützte meine Anwesenheit bei der Zeremonie jetzt noch? Das Getuschel und Gestarre, das Schweigen und Teresas Gezerre, um Matildes Hand bloß nicht mir überlassen zu müssen, hätten mich sowieso

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