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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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fliehen lassen. Später wollte ich weiße Rosen an Grazias Grab bringen, keine Lilien - von deren Duft hatte sie in der Klinik einmal Kopfschmerzen bekommen. Auch bei Leonardo würde ich eine Rose hinlegen. Es fiel mir schwer, vor dem 80 x 80 Zentimeter großen Stück Marmor mit seinem Namen nicht an den Sarg zu denken und an das, was nach drei Jahren noch von seinem Körper übrig war. Schnell schob ich das Bild beiseite.
    Er hat nichts damit zu tun, wiederholte ich, er hat nichts mit dem zugemauerten Fach an der Friedhofswand zu tun.
    Nee, wirklich nicht!, hörte ich seine Stimme, und das Kribbeln in meinem Bauch legte sich. Ich lief geradeaus, immer weiter, bis ich merkte, dass die Bürgersteige neuer und breiter wurden und ich schon fast in Santa Flavia angelangt war.
    Die Räder des Koffers eierten über den Bürgersteig und stoppten vor den Bahngleisen, deren Schranke geschlossen war. Wie oft hatte ich schon die leeren Gleise Richtung Palermo betrachtet und dann in die andere Richtung gestarrt, bis endlich einer der Bummelzüge nach Castelmonte geschlichen kam oder die seltenen Intercity-Züge nach Milazzo oder Palermo durchrauschten. Ich hatte mindestens
einen Tag meines Lebens vor dieser Schranke zugebracht. Aber diesmal nutzte ich die Zeit und schrieb eine SMS an Susanna. Wie immer antwortete sie sofort, und schon flogen unsere Nachrichten hin und her.
     
    Hast du viel zu tun?
     
    Bin gerade zu Hause reingekommen... wie geht es dir?
     
    Eine furchtbare Beerdigung - und ich habe mich verliebt!
    Du verliebst dich nie!
     
    Doch - ein Blitzschlag, was tut man dagegen?
     
    Dagegen nichts - dafür alles
     
    Er ist schon wieder weg
    Du hast natürlich nicht seine Nummer
     
    Natürlich nicht
     
    Dann ist ja gut, dachte schon, ich müsste mir Sorgen machen. Wie weit bist du mit dem Matilde-Plan?
     
    Es gibt keinen Plan. Nur Unüberlegtes.
     
    Dann lass sie eben vor der Glotze sitzen. Walt Disney gehört ja heutzutage schon fast zurAllgemeinbildung. Ciao, ich küsse dich.

    Ich grinste. ›Susanna Elefantenhirn‹ nannte ich Susa manchmal. Sie erinnerte sich haarklein an all die Vorfälle, die ich mit Matilde in den vergangenen drei Jahren erlebt hatte, undwusste, wie deprimiert ich jedes Mal von meinen Reisen nach Bagheria wiedergekommen war. Matilde sprach kaum, und wenn sie etwas erzählte, dann waren es die wirr zusammengemischten Abenteuer von Cinderella, Arielle, Bambi und Pinocchio.
    »Hat die nonna dir das vorgelesen?«, fragte ich jedes Mal hoffnungsvoll, obwohl ich die Antwort schon kannte.
    »Nein, das habe ich auf DVD«, erwiderte Matilde. Warum sollte Teresa ihrem Enkelkind vorlesen? Meine Mutter hatte das bei uns auch nie getan, sie kannte es nicht. Auf Sizilien war das abendliche Vorlesen für Kinder nicht sehr verbreitet.
     
    Die Schranke öffnete sich endlich. Ich lief weiter, bis der kleine Fischerhafen unter mir lag, und als ich den Berg links von mir hinaufschaute, konnte ich die Säulen der antiken Ausgrabungsstätte von Solunto erkennen. Ich blieb abrupt stehen. Ich war in Porticello angekommen, und erst in diesem Moment wurde mir klar, dass ich nicht auf dem Weg in meine Pension war. Am Hafen roch es nach Diesel, Tang und verrottetem Fisch. Mein Blick streifte über die großen Thunfischboote, die rostig ineinander verhakt im Hafenbecken lagen, die Taue steif vom Salz. Kaum denkbar, dass sie noch einmal auslaufen würden. Was sollten sie da draußen auch, es gab ohnehin zu wenig Thunfisch im Meer. Aus einem offen stehenden Fenster wehte der Duft von in Knoblauchöl angebratenen Garnelen, der Duft, den Leonardo so oft aus dem Restaurant mit sich gebracht hatte. Mein Magen
fragte knurrend, warum ich in der Bar nichts gegessen hatte.
    Ich ging weiter, am Sportplatz vorbei. Ein geschlossenes Lokal, eine Häuserreihe, und dahinter ein Knick, auf einer Landzunge endete die Straße in einer Meeressackgasse. Links lag die abgetrennte Lagune, ruhig wie ein See, rechts das offene Meer. Ich ging schneller, und da stand es, von flachen Felsen eingerahmt, das alte Limonenhaus, das Mamma damals von Zia Pina geerbt hatte. Ein aufgestellter Schuhkarton mitten im Wind. Wer war auf die Idee gekommen, dort ein Haus zu bauen, so völlig ungeschützt vor Hochwasser und dem nächsten Sturm? Musste es nicht irgendwann umkippen? Das Meer hatte sich bereits den Putz in großen Brocken von den Mauern geholt.
    Aber es kippte nicht, es hatte 180 Jahre beharrlicher Angriffe überstanden, unbewegt, als ob es mit

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