Das Limonenhaus
Schuhe daran ab. Der Schlüssel passte noch, ließ sich sogar mühelos herumdrehen. Natürlich, die Tür klemmte, das hatte sie immer getan, aber meine rechte Schulter hatte den unverzagten Schwung, mit der man sie aufstoßen konnte, ohne sich wehzutun, noch nicht vergessen. Dennoch brauchte ich drei Anläufe, denn die Tür gab bei jedem Stoß nur ein kleines Stück weiter nach, bis sie plötzlich ganz aufflog und ich kräftig mit dem Kopf gegen das Holz knallte.
Der Wind hatte auch Dreck, kleine Zweige und Plastikfetzen unter dem Türspalt hineingeweht, ich rieb mir die schmerzende Stelle seitlich über dem rechten Ohr und machte einen Schritt auf die erste Stufe der steinernen Treppe, die gleich vor mir nach oben führte. Einen Moment lang schloss ich die Augen. Durch den feinen Geruch nach Zitronen war alles wieder da, so hatte es angefangen; Claudio hatte mich hier unten auf der Stufe das erste Mal geküsst.
Denk ruhig daran, es wird nichts Dramatisches passieren, sagte ich mir. Gib es zu, es war ein richtig guter Kuss, voll Alkohol und Sehnsucht, er war einer unserer längsten, und er ereignete sich in Leonardos und Grazias Hochzeitsnacht.
La nozze, die Hochzeitsnacht, die Hochzeitsfeier. Die Familien des Brautpaares, die sich normalerweise die Kosten
für eine möglichst pompöse Hochzeitsfeier teilen, hatten der Verbindung die benedizione nicht gegeben. Der Vater des Bräutigams hatte seinen Sohn verstoßen, der Vater der Braut war in eine Art Starre gefallen. Das sizilianische Pflichtprogramm, all das, was nicht fehlen durfte, fiel also aus: Es gab keine Luxuslimousine, mit der die Braut vor der Kirche vorfuhr, keinen aufwendigen Blumenschmuck, keinen Fotografen, weder ein Hochzeitsvideo noch ein Essen mit zwanzig Gängen in einem Nobelrestaurant.
»Es hat auch Vorteile, wenn beide Familien nicht miteinander sprechen. Man kann seine Hochzeit feiern, wie man will und erlebt als Brautpaar sogar etwas wie Spaß«, war Leonardos Kommentar.
Am Abend, als die Julisonne gerade dabei war, rotglühend im Meer abzutauchen, trafen wir uns mit Leonardos Kochkollegen, um im Melarancio zu feiern. Marta, Freundin von Leonardo und Alleinherrscherin über die Barockvilla ihrer adeligen Großmutter, öffnete das Melarancio nur nach eigener Lust und Laune. Wenn ihre leidenschaftlichen Liebesbeziehungen sie nicht gerade davon abhielten, richtete sie im Zitronengarten der Villa stimmungsvolle Tauffeiern, unvergleichliche Geburtstagspartys und sonstige Familienfeste aus. Leonardo hatte die Hochzeit auf einen Sonntag gelegt, auf den Tag, an dem die meisten Restaurants auf Sizilien ihren Ruhetag haben. Niemand musste arbeiten, und obwohl die runden Marmortische bei Marta mit süß-sauer eingelegtem Gemüse, gegrillten Meerbarben, Berge von lauwarmen Schnitzeln in süßem Marsalawein überhäuft waren, hatten Leonardos Kollegen alle noch zusätzlich etwas mitgebracht. Gefüllte Sardellen, die wie kleine Vögel mit aufgerissenen Schnäbeln auf einer ovalen Platte angerichtet
waren, Meeresfrüchtesalat und natürlich vitello tonnato. Sieghard aus Bozen nannte mir dreimal seinen Namen, bis ich ihn im Gelächter endlich verstand. Er schleppte eine über und über mit kandierten Früchten belegte Cassata heran. Die sizilianische Torte war in der Wärme schon ein wenig zusammengesackt. Marta tänzelte trotz ihrer Körperfülle mit immer neuen Weißweinflaschen elegant zwischen den Tischen umher.
»Eines Tages werde ich deinen Bruder aus dem Sirena abwerben, und wir werden etwas Sensationelles, Noch-nie-Dagewesenes eröffnen.« Sie zwinkerte zu mir herüber, während sie ihn von oben bis unten betrachtete. Es sah eher aus, als ob sie ihn statt abzuwerben gleich auf einer der Gartenbänke verführen wollte.
Es war eine warme Nacht, die Grillen überzirpten die leise Musik aus den Lautsprechern, und von der Terrasse, oben auf der Einfriedungsmauer der Villa, konnte man die Lichter des Hafens von Porticello sehen. Wir aßen, und ich wusste, dass ich zu viel trank. Bevor ich von der Torte probierte, schleuderte ich einige der kandierten Früchte nicht sehr damenhaft hinaus in die Dunkelheit irgendwo zwischen die Zitronenbäume. Claudio lachte darüber und schenkte mir immer wieder nach, er rückte mit haarsträubenden Geschichten heraus, in denen es um Erbschaften und falsche Testamente ging, und brachte mich damit zum Lachen. Er sah gut aus, mittelgroß, wie Leonardo, und unter seinem weit aufgeknöpften Hemd konnte ich eine
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