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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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durchtrainierte Männerbrust erblicken.
    »Ich habe eine Vespa.« Er schaute mir fragend ins Gesicht.
    »Ich liebe Motorroller«, antwortete ich.

    »Ich schwimme manchmal von Aspra bis nach Mongerbino die Küste entlang.« Wieder sein prüfender Blick.
    »Ich schwimme auch gerne.«
    »Ich hole dich morgen mit der Vespa ab, sie ist dunkelblau. Magst du dunkelblau? Magst du Fisch? Oktopus?« Ich nickte. Ich mochte die Farbe Dunkelblau zwar nicht, aber ich liebte Oktopus.
    »Findest du meine Nase zu groß? Soll ich sie mir operieren lassen? Soll ich?«
    »Niemals!«
    Ich beobachtete Claudio heimlich von der Seite, ich mochte seine Hakennase im Profil und wünschte, er würde nichts Albernes, Peinliches, Dummes mehr sagen. »Gemellina, du bist vollkommen, du bist in mein Leben gefallen wie eine Sternschnuppe, bitte verlass mich übermorgen nicht, wir buchen deinen Flug um!«
    »Alles, aber nenn’ mich bitte Lella!«
    Begleitet vom Zirpen der Grillen und verschwommen klingender Discomusik, brachte Claudio mich spät in der Nacht den kurzen Weg zu Mammas Limonenhaus. Nach ein paar Metern kletterte ich auf seinen Rücken und klammerte mich singend an ihn. Von diesem Rücken, von Leonardo und Sizilien würde ich mich nicht so schnell wieder trennen, nahm ich mir vor.
     
    Ich holte mein Gepäck ins Haus und setzte es an der Treppe ab. Langsam stieg ich hinauf. Die Kanten der Stufen waren abgerundet und glatt, bei der fünften fehlte rechts immer noch das kleine halbmondförmige Stück, als habe jemand es herausgebissen. Ich presste vor Aufregung die Lippen zusammen. Ich würde alles wiedersehen: die Küche, die Kammer,
die Tischhälfte, auf der ich mit Claudio beinahe mal... Aber dazu war sie dann doch zu wackelig gewesen, wir hatten uns auf dem halbkreisförmigen Tisch nur geküsst.
    Oben angekommen blieb ich stehen. Nur ein heller Kreis auf dem Stein zeigte, wo die Amphora einmal gestanden hatte. Was war hier los? Ich stieß die angelehnte Zimmertür auf.
    Die Wohnküche war dunkel, aber auch so konnte ich sofort erkennen, dass ich ins Leere schaute. Der Raum war restlos kahl! Bis auf die Hälfte des alten sizilianischen Tisches, des mezzo tondo, den man mitten im Zimmer stehen gelassen hatte, war alles ausgeräumt. Ich probierte den Lichtschalter neben der Tür. Es klickte trocken und blieb schummerig. Kein Strom. Die Küche schien eine Gruft zu sein. Unsere gemeinsamen Mahlzeiten am halbrunden Tisch, unser Gelächter, der Duft von frittierten Fischen, Espresso und die Schwaden des warmen aceto balsamico - gelöscht, irgendjemand hatte alles ausgelöscht. Auch Leonardos Summen, sein Töpfeklappern, der Klang seiner glatten Schuhe waren hinausgetragen worden und mit ihnen all die anderen Geräusche, denen ich aus meinem Kämmerchen je gelauscht hatte. Ich ging mit hallenden Schritten und öffnete beide Flügeltüren zum Balkon, die mit dumpf knarrenden Angeln über den alten Bodenkacheln schürften. Auf jeder Seite hatten sie im Laufe der Jahre schon zwei dunkle Halbkreise in das blau-gelbe Lilienmuster gezogen. Die Fensterläden quietschten entsetzlich laut, als ich sie an die Hauswand bog. Das Zimmer hinter mir wurde vom Abendlicht rot überzogen. Es schien, als atmete es die frische Luft ein, die jetzt mit einem aufkommenden Windstoß in alle Ecken des kahlen Raumes fegte. Ich ertrug den ungewohnten
Anblick nicht und beugte mich schnell über die Balkonbrüstung. Das Wasser leuchtete schiefergrau, ich konnte die flauschig bewachsenen Steine auf dem Grund gerade noch erkennen, Wellen leckten von unten gegen die Felsen und das Fundament des Hauses. Der Geruch nach Meerestang machte es mir leicht, an die ersten, wunderbaren Tage zu denken, die ich in diesem Haus verbracht hatte. Hier hatten die Liegestühle gestanden, in denen Leonardo und ich nachts saßen; das Wasser war fast reglos, nur ganz leise schlug es an die Steine unter uns. Der Mond tauchte als Riesen-Orangenscheibe über dem Golf auf und wanderte langsam aufwärts, bevor er sich oben wie ein silbergelber Fußball an den schwarzen Himmel heftete. Wir tranken Weißwein und aßen dazu winzige Fischchen. Sie waren kaum größer als mein kleiner Finger. Ich konnte drei auf einmal in den Mund stecken und mitsamt ihrer knusprigen Teighülle, Kopf und Minigräten zu einem köstlichen Mus zermalmen.
    Ich ging wieder hinein. Links hatte der Herd gestanden, auch er war fortgeschafft worden. Nur der eckige steinerne Ausguss hing noch an der Wand.
    Auf Zehenspitzen stieg

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