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Das Limonenhaus

Titel: Das Limonenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gerstenberger
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Goldene Pfanne war ein Missverständnis, während des Reservierungsvorganges brach im Hotel Oriente der Computer zusammen, und sie hatten keinen Internetzugang mehr. Daraufhin schickte die Assistentin ein Fax, doch die Reservierungsabteilung hat darauf das Abreisedatum nicht richtig lesen können. Nun sind ab morgen sämtliche Zimmer belegt, und ich muss in dieses Padella umziehen!«
    »Unglaublich«, sagte Lella, aber es schien sie nicht wirklich zu interessieren. Sie drückte ihren Fuß aufs Gas und beschleunigte, ohne sich um so etwas wie Abstand oder den
Einsatz des Blinkers zu scheren. Mutig überholte sie in diesem Moment einen weinroten Fiat Panda von rechts. Es gab keine Fahrbahnmarkierungen, kreuz und quer trudelten wir mit den anderen Autos über die breite Straße. Ich trommelte mit den Fingerspitzen auf meine Fototasche und bremste weit früher mit dem Fuß, als sie es tat. Vielleicht hatte sie recht, je zügiger wir die Sache durchführten, desto eher wären wir wieder zurück. Palermos Vorstadthochhäuser verschwanden nach und nach im Rückspiegel. Am Straßenrand hatten Händler unter Pinienbäumen ihre Stände mit Korbmöbeln und Sonnenschirmen aufgebaut, doch die Geschäfte liefen nicht gut. Vielleicht war es noch zu früh, niemand hielt.
    Zehn Kilometer legten wir schweigend zurück, vorbei an braunroten, zerklüfteten Felsen, Autofriedhöfen und Werbetafeln. Ab und an sah ich hinter Lella das Meer auftauchen.
    Lella folgte dem grünen Schild nach Bagheria, sie lenkte den Wagen die abfallende Ausfahrt hinab, die schon nach wenigen Metern im Ort endete. Kleine Gemüsekarren wie der, den Taxifahrer Mario gestern beinahe umgefahren hatte, standen an den Rinnsteinen, darauf türmten sich Zucchini, Tomaten und Auberginen, die hier lila-weiß, wie giftige Riesenbeeren aussahen. Untersetzte Frauen kamen Tüten schleppend aus den Geschäften, furchtlos bewegten sie sich mitten durch die zähe Autoschlange, in der wir gefangen waren, um auf die andere Straßenseite zu gelangen. Motorroller zogen an uns mit röhrendem Knattern vorbei, Männer mit Schiebermützen und gestrickten Westen standen im Schatten einer Metzgerei zusammen, rauchten und bemühten sich auszusehen, als ob die fünfziger Jahre noch nicht
vorüber waren. Sie warten auf nichts, sie hoffen auf nichts, dachte ich, als wir langsam an ihnen vorüberrollten. Ihre faltigen Gesichter sind nicht enttäuscht, aber auch nicht zufrieden, nicht lauernd, aber auch nicht satt. Sie alle haben diesen seltsamen Ausdruck in den Augen. Sie würden einen ganzen Bildband abgeben, die Leute von Bagheria.
    »Vergiss es!«, würde Brigida gesagt haben, »Porträts, Menschen, Lebendiges, das ist nicht dein Ding, glaub mir.« Brigida. Immer ehrlich, immer direkt. Ich hatte sie für einen Moment vergessen gehabt. Lella fuhr bereits zum dritten Mal um denselben Kreisverkehr.
    »Weißt du nicht mehr, wo du hinmusst?« Meine Stimme bebte vor Ungeduld.
    »Doch, klar!« Sie parkte quer vor einer gelben Schranke, dahinter ragte ein Hochhaus in den Himmel. Ich sah keine Blumen, noch nicht einmal Wäsche auf den Balkonen, nur die grauen Lamellenkästen der Klimaanlagen.
    »So kommt aber keiner mehr hier raus«, knurrte ich sie an.
    »Das ist in Ordnung so, mach dir keine Sorgen. Also, wir gehen nach oben, du stellst dich vor, zeigst deine Kamera und sammelst alle Anwesenden in einem Zimmer. Am besten im salotto, das ist der große Raum voll Rokoko-Sofas und goldenen Schnitzereien, den findest du schon, der ist nicht zu verwechseln.« Wir stiegen aus, Lella knallte die Autotür heftig zu.
    »Hast du sie informiert, dass wir kommen?«
    »Nein, das ist eine Überraschung. Und, und könntest du vielleicht so aussehen, als ob du nicht gleich wütend an die Decke gehst?« Sie legte die Hände wie ein tibetanischer Mönch zusammen. »Rede ruhig viel mit ihnen, schau sie
freundlich an, gib ihnen Zeichen mit der Hand, das verstehen sie dann schon.«
    »Und was machst du?«
    »Ich hole Matilde dazu, das Kind von meinem Bruder und Grazia.« Auf meinen Blick hin erklärte sie: »Grazia ist die, die gestern beerdigt wurde, und ihre kleine Tochter Matilde ist etwas verschüchtert, darum.« Schweigend schulterte ich meine Tasche und ging hinter ihr her. Dunkelgraue Wolken hatten den blauen Himmel in den letzten Minuten in ein Weltuntergangsszenario verwandelt; die ersten Regentropfen warteten darauf, hinunterfallen zu dürfen. Lella lief über den betonierten Vorplatz auf die Eingangstüre

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