Das Limonenhaus
zu, vorbei an einer struppigen, vom aufkommenden Wind geschüttelten Palme und alten Pappkartons.
»Chi é?«, schnarrte es aus der Sprechanlage, während das Auge der Türkamera ihren Hinterkopf surrend fixierte.
»Sono io!«, rief sie, die Tür sprang auf.
Im Fahrstuhl konnte man kaum aneinander vorbeischauen, Lella sah mich mit ihren großen, blanken Augen ernst von unten an. Ich hörte mich ärgerlich schnauben, denn mein Handy zeigte keinen Empfang. Ich konnte nur hoffen, dass Brigida jetzt nicht gerade wegen des Villen-Auftrags anrief. Die Kunden regten sich immer auf, wenn sie ihre Fotografen nicht jederzeit erreichen konnten, und riefen dann bei ihr an. Nun war ich einer von den Unauffindbaren. Der Fahrstuhl blieb im vierten Stock ruckend stehen. In die Wohnungstür waren drei Schlösser nebeneinander eingebaut, irgendwer machte sie einen Spalt auf. Lella sah mich wieder kurz mit aufeinandergepressten Lippen an, dann drückte sie die Tür auf und trat in die Dunkelheit. Ich folgte ihr, wir bahnten uns unseren Weg durch einen Flur
voller schwarz gekleideter Menschen. Alte Frauen mit runden Bäuchen und dünnen Beinen, deren lichte Scheitel mir bis zu den Ellenbogen reichten, betrachteten mich argwöhnisch, während ich mich an ihnen vorbeischob. Ich gelangte in einen großen Raum und verlor Lella aus den Augen. Um irgendwas in den Händen zu haben, nahm ich meine Kamera aus der Tasche. Wenn ich statt der Kamera den Kapuziner hervorgeholt hätte, wäre der Effekt nicht weniger dramatisch gewesen. Sie raunten und murmelten, sie schienen über mich zu reden, obwohl sie mich noch nie gesehen hatten. Eine der schwarzen Greisinnen winkte mich zu sich auf das mit goldenem Brokatstoff bezogene Sofa hinunter und rückte mit ihren trüben Augen ganz nah an mein Gesicht heran, ungläubig, ausgerechnet mich hier zu sehen.
»Ich wundere mich auch«, konnte ich leider nicht auf Italienisch sagen. Ich lächelte bedauernd, sie nickte undklopfte mir milde auf die Schulter. Ich blieb neben ihr zusammengefaltet hocken, nur noch ein Drittel so hoch und dadurch weniger auffällig, und erklärte ihr leise die Kamera. Sie starrte dabei abwesend auf ihre faltigen, von Altersflecken gezeichneten Hände, die ich nicht zu fotografieren wagte. Nach ungefähr zehn Minuten erschien Lella wieder in meinem Blickfeld. Sie hatte wieder den gleichen wütend-entschlossenen Ausdruck in den Augen, den ich schon aus meinem Hotelzimmer kannte. Wir wurden zusammen mit den anderen in ein dunkles Zimmer voller Stühle gedrängt, und ich merkte, dass Lella es auf ihrem Stuhl vor mir kaum aushielt. Ich sah ihren Nacken unter ihrem kunstvoll hochgesteckten Haar. Wie ein witterndes Reh schien sie die wenigen Geräusche, die zu uns in den geschlossenen Raum drangen, auszuloten. Ich schaute mich um. Hinter mir, an der Tür,
lehnte ein kleiner, aber sehr kräftig gebauter Mann mit verschränkten Armen. Der Bodyguard. An ihm kam niemand vorbei. Ich konnte mich dem betenden Chor - einer betete vor, alle fielen mit ihrer Antwort ein - nicht anschließen. Meine Mutter war nicht gläubig. Stattdessen blätterte ich in dem Gebetbuch, das auf meinem Stuhl gelegen hatte. Eine von himmelblauen Wolken umrandete Madonna segelte auf dünnem Papier durch die Luft und landete unerreichbar unter einem Stuhl zwei Reihen vor mir. Ein von spitzen Pfeilen durchbohrtes Lamm und einige ebenfalls durchbohrte heilige Herzen flatterten hinterher. Als ich wieder aufschaute, war das Gebet zu Ende und Lella verschwunden. Ich blieb sitzen und begann aus den bisherigen Vorkommnissen eine lustige Geschichte für Brigida zurechtzustricken. In diesem Moment tauchte Lella von irgendwoher wieder auf und zerrte mich wortlos aus der Wohnung.
Ein Regenschauer war in der Zwischenzeit niedergegangen, nass glänzten die Beulen und Schrammen der am Straßenrand geparkten Autos in der Sonne. Wir stiegen ein.
»Also fotografiert werden wollte jedenfalls keiner.« Meine Stimme klang rau. Ich blieb ganz ruhig, sollte sie sich doch wundern, wieso ich nicht fragte. Lella wunderte sich nicht, sie raste einfach los. Diesmal hatte ich weniger um mich als um die Fußgänger Angst, die vor uns die Fahrbahn zu überqueren versuchten.
»Wo war das, es war doch diese Straße hier, oder die nächste? Das war ganz in der Nähe, es muss hier irgendwo sein!« Fieberhaft irrte ihr Blick die Häuserfronten und Gassen entlang. Nun war meine Geduld doch am Ende.
»Erwähnte ich, dass ich es sehr schätze,
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